Montag, 5. November 2007

xYz

Nach einem sehr relaxten Tag habe ich mich wieder an den altbekannten Ort begeben, eine Playlist zusammen gestellt und „Open Office“ gestartet. Von draußen höre ich die Autos und den Regen, der sachte an mein Fenster prasselt. Aus meinem Notebook lassen „Telefon Tel Aviv“ wiederum ein leises Clics and Cuts-Gewitter auf mich regnen. Hier, in diesem Zimmer.


Meine vier Wände sind nun, nach einer kleinen Aktion, freundlicher und ansehnlicher gestaltet. Zum einen durch ein schmuckes Foto von der Akropolis, zum anderen durch ein riesiges DIN A0 Poster, dass ich auf der Straße fand. Es ist der Plan einer Brücke, die irgendein griechischer Architekt vor nicht allzu langer Zeit entwarf. Ich habe das Ungetüm an meine Wand geklebt und es mit Buntstiften und meinem Füller angemalt bzw. beschrieben. Nach und nach richte ich mich hier ein, bedecke die großen, weißen Wandflächen mit bekanntem und gemochtem und mache somit dieses Zimmer zu meinem eigenen. So klebt z.B. auch das Foto von „Vatta“ an meinem Schreibtisch. Das tolle, wo er die Zähne fletscht, als wolle man ihm seines frisch gefangenen Fisches berauben. Postkarten aus der Bretagne und dem schönen Rothenstein hängen an der Pinnwand, klatschende Hände aus Andalusien und der engelsgleiche Sigur Ros-Fötus. Last but not least hängt auch mein Stundenplan an der Wand. Er sagt mir, dass mein Semester 17 SWS hat und ich jeden Morgen entspannt angehen kann, fängt doch die früheste Vorlesung um 11h an.


Nichts desto trotz muss ich etwas früher aufstehen, da mich die Fahrt zur Uni in der Regel 45 Minuten kostet. Der 608er Bus ist dann meist gerappelt voll mit Rentnern und Studenten, die müde drein blicken und am liebsten wieder zurück ins Bett wollen. An der Station „Akadimias“ leert sich der Bus, und ich schnappe mir einen Sitzplatz. Mit gefühlten 5 KM/h bewegen wir uns in den östlichen Teil Athens, an den Campus im Stadtteil „Zografou“. Stop and go. Stop, and go. Wer seinen Geduldsfaden trainieren möchte, ist in Athen genau richtig. Die alltägliche Fahrt wird sehr schnell langweilig, wenn man kein Buch oder etwas Musik zur Hand hat.
Besonders zur Mittagszeit ist die Innenstadt so dermaßen dicht, dass die Busfahrer kurzerhand alle Türen öffnen und die Leute auf die Gehwege strömen. Dann geht gar nichts mehr.

Der Campus in Zografou liegt auf einer kleinen Anhöhe, und die „School of Philosophy“ hat 9 Stockwerke. Von hier oben hat man einen schönen Ausblick auf die Stadt, bis hin zum Hafen in Piräus. Wenn man jedoch den Blick von den Häusern weg lenkt und sich die Luft anschaut, dann erkennt man die schweflig-gelbe Smogwolke über der Stadt. Dann glaubt man auch, dass die Akropolis erst in den letzten 100 Jahren in diesen schlechten Zustand gekommen ist. Und man weiß auch, warum Griechenland in der EU das Schlusslicht im Hinblick auf den Umweltschutz ist...


Sei's drum, ich laufe die Treppen wieder hinunter und gehe in den Hörsaal, wo mich die nächste Wolke erwartet. Es wird im gesamten Gebäude geraucht, und eben auch im Hörsaal. Einige Dozenten haben wohl auch nichts dagegen, wenn sich ihre Studenten während der Vorlesung eine Fluppe anmachen. In Dortmund wäre das alles undenkbar. Die Raucher müssen vor die Tür und können sich dort bei Wind und Wetter den blauen Dunst in die Lungen jagen. Hier ticken die Uhren eben etwas anders.

Das alles ist aber halb so wild, denn es sind nur einige Studenten in den Vorlesungen, die sich vor den 90 Minuten eine Zigarette anzünden. Der Rest unterhält sich mit den anderen, oder blättert in den Büchern. Der Großteil der Leute sind, natürlich, Griechen. Und einige von ihnen können wirklich gut Deutsch sprechen. Die große, schweigende Masse verfolgt den Unterricht mehr oder minder interessiert, macht sich gelegentlich ein paar Notizen und blättert ansonsten gerne in der aktuellen Ausgabe des „Vanity Fair“ oder „Cosmopolitan“. Der Dozent redet daher oft mit angezogener Handbremse. Das ist zumindest mein Eindruck als Muttersprachler. Und ich mache mir nichts vor: Dieses Semester wird nicht sehr fordernd, denn die Seminare und Vorlesungen hier dienen in erster Linie den Griechen. Sie sollen mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen und sich an ihren Klang, ihre Worte und ihre Grammatik gewöhnen. Die verlangten Leistungen (Klausur, Hausarbeit, Referat) sind natürlich ein Test, den ich mitmachen muss und werde. Im Grunde genommen könnte sich aber jeder von den Erasmus-Leuten zumindest die Vorlesungen schenken, da alle wichtigen Infos in den Büchern sind. Nicht gefordert werden heißt aber nicht automatisch, dass man nichts Neues lernt.

Abgesehen davon streuen die Dozenten hin und wieder interessante und amüsante Anekdoten ein, die den Besuch der Vorlesungen lohnenswert machen. Und darüber hinaus ist es interessant zu sehen, welche Probleme anderssprachige Studenten mit dem Deutschen haben. Diejenigen, deren Deutsch gut ist, haben z.B. noch Probleme mit der Betonung. Von daher drehen sich einige von ihnen nach einer Meldung zu uns um, mit einem fragenden Blick in den Augen. Dann schaut auch der Dozent zu uns herüber und vergewissert sich, ob das eine oder andere Wort richtig ausgesprochen wurde. Die Dozenten selbst haben für eine längere Zeit in Deutschland gelebt und studiert und sprechen somit sehr gut Deutsch, wenn gleich sie natürlich ihren griechischen Akzent nicht verbergen können. Ich hoffe außerdem, innerhalb der Veranstaltungen einen griechischen Tandem-Partner zu finden. Dazu muss ich jedoch erst viel besser Griechisch können. An den Dozenten im Sprachkurs soll das nicht scheitern...


Der Griechisch-Kurs findet jeden Dienstag, Mittwoch und Freitag in der Zeit zwischen 15 bis 18h statt. 3 mal 3 Stunden Griechisch, mit kleinen Hausaufgaben. Das Unterrichts-Tempo ist wirklich rasant, und ich kenne einige Erasmus-Leute, die sich ernsthaft überlegen, nicht schon jetzt den Kurs zu schmeißen. Wir sind eine bunte Truppe mit Leuten aus Spanien, Litauen, Tschechien, Holland, Italien, Frankreich, der Türkei und Deutschland. Letzte Woche fingen wir mit dem griechischen Alphabet an, welches bis kommenden Mittwoch sitzen muss. Es folgten kleine Redewendungen wie z.B. „Ich heiße...“ oder „Ich komme aus...“. Während des Unterrichts muss jeder Einzelne mal nach vorne an die Tafel, und bei einer Vorlese-Runde muss jeder mehrmals griechischen Begriffe dechiffrieren und wiedergeben. Ich bin wirklich gespannt, wie gut mein Griechisch nach diesem Kurs ist. Wir werden es erleben...


Nach dem Kurs fahren die meisten von uns in die Mensa nach Exarchia. Dort gibt es noch bis 21h warmes Essen. Auch am Wochenende kann man sich dort den Bauch voll schlagen, und das zweimal am Tag, und völlig kostenlos. Einige von uns kochen mittlerweile gar nicht mehr zu Hause, sondern sie gehen direkt in die Mensa. Das Essen selbst ist nicht der Knaller. Oft ein Schuss zu viel Öl, oft zu lang auf dem Herd (oder zu kurz) und sehr häufig Fleisch. Die alte, kauzige Dame hinter dem Tresen belächelt mich immer, wenn ich einen vegetarischen Teller bestelle (den es so gar nicht gibt). Ich bin allerdings auch nicht der einzige Vegetarier in der großen Erasmus-Gruppe, und so leiden wir gemeinsam in Griechenland. Fleisch-Land. Land der drehenden Souvlaki- und Pita-Spieße. Es ist nicht einfach, aber eben auch nicht unmöglich. Die Menschen können es im ersten Moment nicht verstehen, aber dann geht es doch. Irgendwie. Und selbst dann, wenn ich die Bockwurst aus der Suppe puhlen muss. Es geht.


Dann lieber doch einkaufen. Der Champion-Markt ist nur 10 Minuten von mir entfernt und hat eine große Auswahl an verschiedenem Obst und Gemüse. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich dort hingehe. Es ist der erste Supermarkt, den ich auch wegen seiner Hintergrund Musik besuche. An manchen Tagen läuft der allseits bekannt QVC-Brainwashing Soundtrack. An anderen jedoch lustiger Jazz a la Helge Schneider, und dann wiederum auch japanische Popmusik. Dann stöber ich in den Regalen, packe Nudeln, Schokolade und Äpfel in den Korb und, naja, tanze auch dazu. Innerlich natürlich, und auch nur ein wenig.

Das Grünzeug muss immer abgewogen werden, und wenn keine von den Verkäuferinnen da ist, kommt auch schon mal das Sicherheitspersonal an die Waage. Im besagten Champion-Markt ist es eine kleine, pummelige Frau. Sie trägt eine schwarze Uniform und hat dicke Aufnäher auf ihren Schultern, die sie als Angestellte der Firma „Mega-Security“ ausweisen. Wenn es gerade keinen Ladendieb gibt und die Flaschen in den Regalen auch korrekt aneinander gereiht sind, wiegt sie auch mal meine Paprika und Tomaten. Ein guter Mensch, mit wahrscheinlich einem der langweiligsten Jobs der Welt.

Ich gehe auch zum Champion-Markt, weil die Kassierer dort nicht das Geld auf seine Echtheit überprüfen. Mir wurde, wie anderen Leuten auch, schon mal Falschgeld andreht. Ich weiß nicht mehr, woher die Scheine kamen. Wahrscheinlich habe ich sie in einer Bar bekommen, vielleicht aber auch aus einem Geldautomaten. Die meisten Kiosk-Besitzer (und der Champion-Markt) scheren sich auch nicht darum, ob es sich beim Geld um Original oder Fälschung handelt, und so nehmen sie alles an, was nach einer Euro-Note aussieht. Gut für uns, aber schlecht für denjenigen, der den Schein als nächstes bekommt...


Mit all den Tüten gehe ich dann nach Hause und mache mir was leckeres zurecht. Meine Vermieterin ist ebenfalls Vegetarier und eine, so wie sie sagt, gute Köchin. Ich habe ihr gesagt, dass ein Wok unsere Küche bereichern würde, und da hat mir die gute Frau kurzerhand einfach einen Ikea-Wok gekauft. Jetzt kann ich auch hier meine Asia-Pfanne machen, und das finde ich echt gut.


Was ich wiederum nicht so gut finde, ist der ganze Müll, den die Griechen mit ihrem Verpackungswahn herstellen. Brot wird grundsätzlich 2 mal eingepackt, in Papier und in eine Plastiktüte. Die Sachen auf dem Markt werden auch gerne doppelt und dreifach eingewickelt. Zwar gibt es hier auch Mülltrennung, aber ich habe den Eindruck, dass die meisten immer noch alles in eine Tonne kloppen. An vielen öffentlichen Plätzen stehen nun kleine Häuschen, an denen man seine Flaschen und Dosen abgeben kann. An den Seiten kann man auch noch gebrauchte Batterien und Mobiltelefone (ja) rein werfen. Immerhin.

Die Mülltonnen selbst werden in der Nacht geleert, Sehr häufig in der Zeit zwischen 23-4h morgens. Dann rumpelt es kurz in der Straße. Tagsüber ist bei dem Verkehr auch nicht an einen haltenden Müllwagen zu denken. Der kilometerlange Autokorso dahinter würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die ganze Bandbreite an griechischen Schimpfwörtern benutzen, die dieses Land herzugeben vermag.

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Hallo Athene, letzte Woche habe ich wohl ziemlich schlecht über Dich geredet. Ich habe zwar die Wahrheit gesagt, aber ich weiß, das Du eitel bist und das alles bestimmt gar nicht hören wolltest.

Du hast, wie alle Götter da oben auf dem Olymp, sehr menschliche Züge. Manchmal bist Du zickig, dann wieder wohlwollend. Gelegentlich auch eifersüchtig, rachsüchtig. Später jedoch wieder weise und gütig. Ich will nicht Deinen Zorn auf mich ziehen und mich dafür bedanken, dass Du mir in der letzten Woche wieder schönere Teile Deiner Stadt gezeigt hast und Menschen, die alles andere als verloren sind. So z.B. am letzten Freitag, als ich mit Jusin und Teresa zur Mensa lief. Irgendwann öffnete sich zwischen den vielen Häuserzeilen ein großer Spalt, auf dem wir die beleuchtete Akropolis sehen konnten. Für einen Moment war wir drei wie versteinert. Es gibt sie, diese magischen Augenblicke, und ich ertappe mich immer wieder in ihnen. Ganz gleich, ob es die Aussicht vom Lykavittos-Hügel ist, oder ob es die Opas sind, die mit ihren Rosenkränzen spielen, Kaffee trinken und sich dabei leidenschaftlich unterhalten. Du hast ganze Arbeit geleistet.
Μoυ αρέoεις.

Und dennoch verpasse ich Dir zum Schluss noch einen kleinen Dämpfer, denn ich möchte, dass die Leute daheim einen Eindruck von Deinem Verkehrschaos bekommen...


Mein Blog bietet, von nun an, mit jedem neuen Beitrag einen Link auf mein persönliches „Video der Woche“. Es muss dabei nicht zwangsläufig mit Athen in Verbindung stehen. In dieser Woche ist das jedoch der Fall. Schaut Euch mal an, wie sich ein Rettungswagen durch den dichten Verkehr mogelt. Einerseits lustig, andererseits beängstigend.


Bleibt gesund.

Benjamin.







1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Lieber Banjamin!

Ich hoffe, meine Post kommt an !? Habe mich so lange nicht gemeldet, sorry. Ich war in den letzten Wochen dauernd unterwegs, das Nature&More-Heft No3 musste fertig werden, also, mir schwirrte nur noch der Kopf! Und den Mann muss ich ja auch noch unterbringen! So und jetzt habe ich endlich Deine Athen-News gelesen! Endlich! Ist schön, von Dir zu lesen, Deine Gedanken nachzuvollziehen. Ist schon recht viel, was Du schreibst, das stimmt, aber einige vermissen Dich ja mehr als andere. Liest sich meist auch gut (!). Ich habs Dir ja gesagt - ein Moloch! Aber ich bin froh, dass Du Dich soweit ganz gut zurecht findest. Und Du hat ja auch die Mentalität, um klar zu kommen. Bin ganz gespannt, wie es wird, Dich dann wieder zu sehen:-)!

Erstmal ganz liebe Grüße, halt durch, Du Tapferer! Hast Du schon das vegetarische Restaurant in der Altstadt entdeckt???

Ganz liebe Grüße von

Anke:-)))