Freitag, 21. Dezember 2007

11251 Aθήνα - Vorweihnachtlicher Fokus

Kaffee um halb zwei in der Nacht.
Wie konnte ich mein ganzes Leben lang ohne dieses Getränk auskommen? Im Laufe der letzten Wochen habe ich immer weniger Milch hinzu gegeben, so dass ich ihn mittlerweile schwarz trinke. Mit Zucker. Die Wirkung der Bohne ist bekannt, und deswegen schätze ich sie auch. Ich schlürfe den Kaffee mit Genuss. In diesen Tagen ist es aber auch ein Zweckgetränk, da ich eine dicke „To-Do-Liste“ habe, die ich noch vor Montag in den Müll schmeißen möchte. Abgehakt, versteht sich...

Heute habe ich viel Kleinkram erledigt. Mein Prepaid-Konto für's Handy ist aufgeladen. Im Badezimmer steht ein neues Shampoo und die Geschenke für Familie und Freunde sind eingepackt. Die größte Arbeit steht mir noch bevor. Ich habe zwei Bücher, die ich bis Sonntag Abend gelesen und zusammen gefasst haben möchte. Eines habe ich vor zwei Stunden beendet, dass andere habe ich zu ¾n durch. Eigentlich wollte ich das Wichtigste des vorhin durchgelesenen Werkes (Sprachwandel – Sprachvarietäten) heute schon zu Papier bringen, aber mir ist gerade viel mehr nach Tippen. Mein Zettel für den neuen Blog-Eintrag platzt aus allen Nähten, und das, obwohl hier eigentlich nicht viel passiert ist.

Das Gro der Erasmus-Blase befindet sich bereits in den jeweiligen Heimatländern. Und diejenigen die noch hier sind, freuen sich größtenteils auf ihre baldige Heimkehr und die Zeit bei ihren Familien. Manche bleiben aber auch hier. Tereza zum Beispiel, die morgen Nachmittag ihren Freund vom Flughafen abholt und ihn erbarmungslos durch die Stadt zerren wird. Das hat sie zumindest vor.
In meiner WG bin ich aber (mit Jirka) der Einzige, der nach Hause fliegen wird. Despina hat nach der Beerdigung ihres Vaters erstmal genug von Schweden, und Lucia müsste in den Senegal fliegen um ihre Mutter zu besuchen. Sie fährt nach Weihnachten mit ihrem Freund in die Türkei. Ondrej plant auch irgendeinen Trip, während Louis sich hier in Athen wohl weiterhin von seiner Kalliope verwöhnen lassen wird. Es wird hier also auch ohne mich Leben in der Bude sein.

Gestern war Sissi (unsere Vermieterin) kurz hier und hat sich verabschiedet. Sie fliegt Ende des Monats zu ihrem Mann in die USA und wird wohl erst im Juni wieder kommen. Sollten einer von uns irgendwann mal in der Nähe von New York oder Washington D.C. sein, sollen wir einen Abstecher zu ihr machen.

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Was gibt es also zu berichten?
Obwohl es nicht spektakulär war, möchte ich Euch vom Champions-League Spiel der letzten Woche erzählen. Olympiakos Piräus empfing Werder Bremen, und so trafen sich zwei Hand voll Männer am Victoria Square. Wir tranken stilecht Bier aus einem Fässchen und warteten noch auf Angel, den Spanier aus Kaljas Wohnung. Als er dann eintraf und sich umsah, riefen alle seinen Namen. Er drehte sich jedoch nicht zu uns um, sondern blickte auf sein Handy (vermutlich um einen von uns anzurufen). Erst als ich dann „Ey Picha!“ rief, schaute er in unsere Richtung und ging los. Nun muss ich dazu sagen, das „Picha“ soviel wie „Schwanz“ bedeutet. Das finden die Spanier aber gar nicht schlimm. Ganz im Gegenteil: Gute Kumpel nennen sich eben so, ganz egal ob in Andalusien oder, wie im Falle von Angel, in Valencia.
Wir fuhren also nach Piräus und trafen auf ein Meer aus den Farben Rot und Weiß. Um das Stadion herum schrien die Souvlaki-Händler um die Wette, während im Stadion schon die ersten bengalischen Feuer gezündet wurden. Wir versuchten noch irgendwie an Karten zu kommen, aber an der Abendkasse war nichts mehr zu holen. Mir wurde ein Ticket für 100 Euro angeboten. Als ich dem Mann sagte, dass ich nur 20 dabei habe, hatte er nur ein müdes Lächeln für mich übrig. Egal, mir ging es auch vielmehr um die Atmosphäre als um das Spiel. Markus sah das anders. Als gebürtiger Bremer und Werder-Fan wollte er unbedingt an den Ort des Geschehens, aber alle Versuche schlugen fehl. Einige trennten sich dann von der Gruppe und gingen nach Hause. Wir (Iwo, Markus, Angel, Johannes und ich) begaben uns nun auf die Suche nach einer Bar, fanden aber nirgendwo eine. Es ging weiter Richtung Hafen, und nach ca. 15 Minuten kamen wir an ein Pförtnerhäuschen mit Schlagbaum. Dort fragten wir dann zwei Männer nach einem Lokal. Mit schlechtem Griechisch und gekonntem Easy-English. Nach einer Weile begriffen sie, was wir von ihnen wollten. Sie fragten uns, ob wir irgendwelche Schals oder Trikots von Werder Bremen an uns trügen, weil das dort verkehrende Publikum im Falle einer Niederlage durchaus handgreiflich werden kann. Das war uns doch zu heikel, und so gingen wir einfach weiter, bis wir auf ein griechisches Paar stießen, das uns in eine schicke Bar mitnahm. Wir setzten uns hin, und jeder bekam vorab ein dickes Glas Wasser. Später folgten sogar Schälchen mit Nüssen und Chips, die ratzfatz alle waren.
Da saßen wir nun auf einem Sofa, ganz hinten und im wahrsten Sinne mit dem Rücken zur Wand. Obwohl dieses Café/Bar edel war, haben sich in den hinteren Winkel, in welchem die Fernsehapparate montiert waren, doch ein paar Dutzend heißblütige Olympiakos-Fans versammelt. Die applaudierten auch fleißig, als ihre Mannschaft dann das Spielfeld betrat. Später jubelten sie dann, als das 1:0 für ihre Mannschaft fiel. Wenn einer aus ihrem Team gefoult wurde, riefen viele von ihnen, fast wie abgesprochen, das allgegenwärtige „Malaka“. Das ist hier ein Standard-Schimpfwort und bedeutet ungefähr soviel wie „Arschloch“. Nun, bei den „Malaka“- und Jubelrufen blieben sie aber nicht sitzen, sondern sprangen auf und machten weite Bewegungen mit ihren Armen oder fielen in dieselben ihres Sitznachbarn.
Nein, wir haben uns nicht bedroht oder gefährdet gefühlt. De facto waren wir aber in der Minderheit, und selten habe ich das so intensiv gespürt wie an diesem Abend in Piräus. Da hockte es nun, das kleine Grüppchen aus 5 Jungs, welches dem deutschem Team die Daumen drückte. Sowohl die Treffsicherheit der Olympiakos-Spieler, als auch die elektrische Ladung der mitfiebernden Fans, die nur einige hundert Meter von ihrem Tempel in Ekstase gerieten, rückten uns immer näher an die Wand. Bei jeder verspielten Torchance für Bremen zuckten wir kurz zusammen oder bissen uns auf die Lippen. Leise war es bei uns auf dem Sofa. Zumindest gab es keine Ausrufe wie „Ah“, „Oh“ oder sogar „Hoijoijoi“. Nachdem es irgendwann 3.0 für die Griechen stand, hätten sie uns dies vielleicht auch nicht übel genommen. Ach, was sage ich: Sie hätte es uns bestimmt auch so nicht übel genommen. Aber man weiß ja nie...
Wie dem auch sei: Markus war bedient und wollte nur noch weg. Wir liefen zurück zur Metro-Station. Ich wollte aber noch ein wenig dableiben und die gute Laune der Fans aufsaugen. Angel leistete mir Gesellschaft und wir warfen, nachdem das Spiel beendet war und die Tore geöffnet wurden, einen Blick ins Stadion Karaiskakis. Eine schöne, kleine Fußball-Arena für ungefähr 33.300 Zuschauer. Auf dem Rückweg holte ich mir dann eine vegetarische Souvlaki, woraufhin mein spanischer Kumpel und ich uns über Vegetarismus und Spiritualität unterhielten. Irgendwann standen wir in der vollgepressten Metro Richtung Kifissia. Um uns herum feierten bärtige Männer in Rot-Weiß den Einzug ihres Teams ins Achtelfinale der Champions-League. Ohne besoffenes Gröhlen und ohne Pöbelein. Da kann sich der deutsche 08/15-Fan mal eine dicke Scheibe von abschneiden...
Jedenfalls standen Angel und ich in der Metro und unterhielten uns weiter über Energien, Shiva, den Kosmos und andere Dinge, bis wir merkten, dass einige Leute uns irritiert ansahen. Dann wurde uns auch klar, wie amüsant es für einige Menschen wirken muss, wenn zwei Ausländer sich in einem proppevollen Abteil über Esoterik unterhalten, während wohl alle anderen rumhopsen, singen und sich den tollen Linksschuss zum 1:0 auf ihrem Handy reinziehen. Oh Mann.
Wir stiegen aus und einer jeder ging seiner Wege. Ein schöner Abend, trotz (oder gerade wegen) der Niederlage von Werder Bremen.


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Despina und ich treffen uns gelegentlich per Zufall auf dem Flur oder in der Küche. Und wenn wir reden, dann fallen uns gelegentlich nicht die Wörter im Englischen ein, die wir benutzen möchten. Nach nunmehr knapp 2 ½ Monaten sind wir jetzt dazu übergegangen, die fehlenden Wörter in unserer Heimatsprache zu artikulieren. Sie auf Schwedisch, ich auf Deutsch. Denn Schwedisch ist auch eine germanische Sprache und weist einige Parallelen zum Deutschen auf. Wir reduzieren uns aber auf Substantive, Verben und Adjektive. Beispiele gefällig:

Himmel – Himmel
Kraftlos – Kraftlös
Burg – Borg
wachsen - växa
Mütze – Mössa
Vogel – Fägel
Wasserkocher – Vattenkokare
Halstuch – Halsduk

Alle paar Tage fallen uns neue Begriffe ein, die ich dann in meine Liste einfüge. Es sind schon über 20, und es werden mit Sicherheit noch mehr.

In den nächsten 3 Wochen werden wir aber nicht dazu kommen, neue Wörter zu finden. Dann werde ich nämlich in Deutschland sein und dieser großen Stadt auf absehbare Zeit „antio“ (Auf Wiedersehen) sagen. Noch bin ich aber hier laufe mit offenen Augen durch Athen. Manche Sachen werden mir erst jetzt so richtig bewusst...

Zum Beispiel die eigenartige Form der „Peripteros“. Das sind Kioske, die es (fast) an jeder Straßenecke gibt und bei denen man (fast) alles kaufen kann. Diese kleinen Buden haben die Zeitungen an ihren Dächern hängen, während links und rechts daneben Kühlschränke mit Getränken drin brummen. Geht man frontal auf einen Periptero zu, so sieht man nur den Kopf des Verkäufers, der aus einem ca. 30x40cm großen Fenster heraus guckt. Rundherum ist alles mit Schokoriegeln und Süßigkeiten zugekleistert. Die ganze Konstruktion ist ein kubus-gewordener Bauchladen. Innen gibt's auch nochmal ein dickes Warensortiment, vorrangig Tabak und Telefonkarten. Und eine starke Heizung, denn jedes Mal wenn ich das Wechselgeld entgegen nehme, spüre ich die Wärme in der Bude.
Ist schon toll so ein Periptero. Nicht zuletzt deswegen, weil er mich an die Trinkbuden im Ruhrgebiet erinnert. Nur das hier nicht der Horst abhängt und dem Walter von seine Uschi erzählt. Woll?!

Mir ist letztens auch erst so richtig bewusst geworden, dass zwischen sehr vielen Häuserzeilen Spiegel montiert sind. Besonders häufig sieht man sie in den Straßen mit Kleidungsgeschäften. Man läuft sich tagtäglich mehrmals selbst über den Weg, und sollte man nicht mit seinen Klamotten zufrieden sein, geht man einfach in den nächsten Laden. Oder man zupft sich die Haare zurecht. Oder man probt sein Lächeln für irgendeinen Menschen. Keiner von ihnen hat eine Schramme, geschweige denn einen Riss. Man geht sorgsam mit ihnen um, denn schließlich möchte niemand Kratzer in seinem Gesicht sehen...
Und wenn es sie doch gibt, dann zieht man einfach eine Sonnenbrille auf. Diese gehört nämlich zur Standard-Bekleidung vieler Griechen, besonders zu der der älteren Semester. Eyewear. Selbst in den unterirdischen Metro-Stationen nehmen sie sie nicht ab. Das sieht zwar chic, aber auch übertrieben aus.
Beeindruckend ist es hingegen, wenn sich fast alle Insassen eines Busses oder Zuges bekreuzigen, sobald sie eine Kirche sehen. Wie ein Reflex wandert die Hand von der Stirn zum Brustbein, von dort zum Herzen und anschließend zum rechten Pendant. Viele bekreuzigen sich 3x hintereinander. Vor allem die älteren Frauen. Die Männer eher seltener, aber dafür haben diese einen Rosenkranz, den sie als Zeichen ihres Glaubens mit sich führen.

Nochmal zurück zu den Metro-Stationen. Selten gab es so kurzweilige Momente wie die in den attischen Metro-Stationen. Dort läuft sehr häufig tolle Jazz-Musik und gelegentlich auch griechische Folklore. Dort gibt es kein betrübtes Schweigen oder die monotone Stimme einer gelangweilten Ansage. Der Fahrgast wird akustisch unterhalten bis der nächste Zug kommt. Gerade mir gefällt das sehr gut.

Was mir nicht gefällt ist der tägliche Frisch-Markt in der Nähe von Omonia, denn dort bin ich vor ein paar Tagen durch Zufall gelandet. Naja, was soll ich sagen: Ich ging durch eine Allee aus Fleisch. Ich sah tote Ziegen und Hasen, denen die Haut abgezogen wurde. Sie alle hingen an stählernen Haken und starrten mich durch ihre schwarzen Augen an. Der abgetrennte Schädel einer Kuh hatte noch einige Wimpern und in einem Kabuff hackte ein Metzger mit blutiger Schürze auf einem Stück Tier herum. Die Luft war stickig und roch nach Verrottetem und Fisch und Schweiß und Tod. Ich beschleunigte meinen Gang und atmete die ganze Zeit durch den Mund, bevor ich wieder an die „frische“ Luft kam. Im Reiseführer wurde bereits gesagt, dass dieser Ort nur für Hartgesottene ist.
Ich könnte dort zwar noch einmal durchlaufen, würde es aber wohl versuchen zu vermeiden.

Aber nicht nur in Omonia gibt es einen Markt. Ganz Athen ist ein Markt, ein einziger Basar. Besonders jetzt zur Weihnachtszeit laufen hier noch mehr Inder und Afrikaner rum und verkaufen noch mehr Kitsch und Kack. Das tollste, was ich gesehen habe waren Gummibälle mit fingerlangen Noppen. Oder eine Flummi-Masse in der Form von Tomaten, die man zu Boden wirft. Dort klatscht sie zunächst auf und verteilt sich, bevor sie sich langsam wieder zusammenzieht und nach wenigen Sekunden wieder wie eine Tomate aussieht.
Mit Megaphonen preisen sie ihre Staubfänger an. Und in den Touristenecken, allen voran Monastiraki, wird man mit gefälschten CDs und DVDs zugebombt. Man kann hier in Athen wohl alles bekommen, was irgendwann mal auf einen Silberling gebrannt wurde. Nur eben gefälscht. Selbst an der Uni gibt es Stände mit gefälschten CDs. In der Stadt säumen die fliegenden Händler den Weg mit ihren Duplikaten. Seien es Alben, Filme oder gefakete Handtaschen von Gucci. Die Polizei greift nicht ein und lässt die Händler gewähren. Warum auch nicht, denn die Touristen decken sich gerne mit der einen oder anderen Ware ein. Vor allem Frauen bleiben häufig bei den Handtaschen stehen. „Die gehen wohl ganz gut“ sagt Lucia, die sich manchmal mit den Senegalesen unterhält. Das macht sie auf „Wolof“, welche eine von 6 Nationalsprachen des Landes ist.
Handtaschen verkaufen sich gerade wohl besser als Schuhe und Armbanduhren. Wie an der Börse, so gilt auch hier: The trend is your friend!

Alles andere als „friendly“ finde ich die mobilen Teppichverkäufer, die mich manchmal mit ihren Lautsprecher am frühen Sonntag Morgen (7.30h) aus dem Bett schreien. Sie fahren mit ihren Pick-Ups ganz langsam durch die Straßen und werben für ihr Gewebtes, dass sich auf der Ladefläche befindet. Manchmal tollen dort auch Kinder herum. Mama fährt Auto, während Papa das Mikro in der Hand hat. Ein echt schräges Bild. Aber das ist eben auch Athen.

Und sollte mal die Windschutzscheibe dreckig sein, so wird bestimmt einer der zahlreichen Inder diese gerne gegen einen kleinen Obolus sauber machen. Einen von ihnen sehe ich jeden Tag auf dem Weg nach Hause. Er ist ca. Ende 40 und verkauft, neben seiner Dienstleistung, auch noch Taschentücher. - Hier gibt es ein Überangebot an Taschentüchern. Manchmal steigen auch irgendwelche Junkies in die Busse und verkaufen Taschentücher. Dann torkeln sie durch das fahrende Monstrum und ich frage mich immer wieder, wann sie denn wohl umkippen. Ihre fahlen Augen und der blasse Teint lassen keinen anderen Entschluss zu.
Sie kippen aber nicht um. Sie hangeln sich langsam aber sicher hindurch und bekommen auch ein paar Cent. Dann steigen sie aus und puhlen mit einem Finger in der Handfläche, um das Geld zu zählen. Traurig, aber wahr.

Bus fahre ich aber nicht so oft. Vor allem jetzt, wo die Uni-Zeit für dieses Jahr vorbei ist. Am Dienstag habe ich ein Referat gehalten und somit meine letzte offizielle Handlung für 2007 erledigt. Allerdings habe ich danach noch meine Hausarbeiten besprochen, die ich bis Mitte Februar im Kasten haben muss.
Was mich immer noch etwas irritiert ist die Tatsache, dass Dozent und Student sich Duzen. Die Griechen sehen das hier nicht so eng. Nach dem Unterricht raucht man sich auch gemeinsam eine Zigarette. Dann setzt man sich auf den Tisch und steckt sich eine an. Ganz locker, ganz unverfänglich. Warum auch nicht?! Nein, ich bin nicht spießig. Ich bin es einfach nur ganz anders gewöhnt und ich bezweifle, dass ich es mir angewöhnen werde. Und sollte es doch passieren, muss ich es mir auch ganz schnell wieder abgewöhnen, denn in Dortmund will bestimmt kein Dozent von mir mit „Du“ angesprochen werden. Oder irre ich mich?
Ich weiß, dass Herr Dr. Thiele die Adresse zu diesem Blog hat. Vielleicht möchte er zu diesem Sachverhalt Stellung nehmen und etwas Licht ins Dunkel bringen. Und vielleicht möchte er mir auf diesem Wege auch sein „Du“ anbieten ;-) Falls nicht, nehme ich es ihm auch nicht übel und werde (wenn es sich anbietet)dennoch im nächsten Semester einen Kurs bei ihm belegen. Immerhin hat er mich in seinem Proseminar "Vom Tagebuch zum Weblog" auf die Idee zu diesem Blog gebracht.

Belegt. Besetzt. Voll.
Voll heißt auf Griechisch „Pliris“. Das weiß ich daher, weil in den maroden Aufzügen an der Uni ein rotes „Pliris“-Signal aufleuchtet, wenn die maximale Beladung erreicht ist. Sehr uncharmant, vor allem wenn ein etwas beleibterer Mensch in die Kabine tritt. Dann muss dieser eben aussteigen und auf den nächsten Aufzug warten. Das dauert dann aber mindestens 5 Minuten. Vielleicht sollte er die Stufen nehmen und ein paar Kilo verlieren, damit es vielleicht beim nächsten Mal klappt. Nur Mut...

Ich komme zum Schluss dieses Eintrags nochmal auf Tereza zurück und möchte eine kleine Anekdote erzählen. Nachdem Terezas Opa im Sommer starb, haben ihre Eltern der Oma einen Computer mit Internet-Anschluss besorgt. Seitdem surft und skyped die rüstige Dame durch die Datenautobahn und genießt die technischen Errungenschaften der Gegenwart.
Sie ist eine Frau die viel erlebt hat: Krieg, Hungersnöte, Kommunismus, Frieden. Umso skeptischer war sie als Tereza ihr mitteilte, dass sie hier einen guten Freund aus Deutschland gefunden hat. Beim Aussprechen des Wortes „Deutschland“ kamen wohl viele Erinnerungen hoch, und die Großmutter riet ihr zur Vorsicht. Zugleich räumte sie aber ein, dass diese Zeiten vorbei seien und ich nicht das Geringste damit zu tun habe.
Ein paar Wochen später schickte Tereza ein paar Bilder von uns nach Tschechien. Von den Fotos (und den Erzählungen) schließt sie nun, dass ich ein ganz freundlicher Kerl bin der, obwohl er Deutscher ist, nichts Böses im Schilde führt. Außerdem mag Terezas Oma (ganz im Gegensatz zu ihrer Enkelin) große Männer mit dunklen Haaren. Das hat sie mir heute beim Abendessen in der Mensa erzählt und mir damit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Möglicherweise klingt es übertrieben, aber vielleicht habe dieser alten Frau nun ein neues Gesicht von Deutschland zeigen können. Mein eigenes Gesicht. Auch wenn ich nicht „Mr. Germany“ bin, so hat es doch ausgereicht, um einen kleinen Sinneswandel zu vollziehen. Ist das nicht schön?

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Mein Video der Woche ist auch von Tereza. Vielmehr ist es eine PowerPoint-Präsentation, die sie für mich im angetrunkenen Kopf gemacht hat. Einleitend muss Folgendes gesagt werden:

Tereza und ich beschimpfen uns manchmal. Nicht bösartig, sondern eher liebevoll. Ich nenne sie „krava“ (tschechisch für „Kuh“), und sie nennt mich „prase“ (tschechisch für „Schwein“).
Nun hat sie mir letztens ihren USB-Stick mitgegeben, damit ich ein paar Fotos draufspiele.
Ich habe den Moment genutzt und eine kleine MP3 erstellt, in der ich sie mit tiefer und ruhiger Stimme auffordere, den Satz „Tereza je krava“ (Tereza ist eine Kuh) hypnotisch zu wiederholen. Ich habe noch Echos hinzugefügt, damit das Ganze wie eine trance-artige Meditation wirkt.
Nun, ich habe erreicht was ich wollte: Tereza hat sich kaputt gelacht. Und als kleines Dankeschön hat sie für mich die besagte Präsentation fertig gemacht.
Ich fasse die Geschichte kurz zusammen, weil man vielleicht die kleine Schrift bei YouTube nicht lesen kann. Das Video ist Lo-Fi. Powerpoint gefilmt mit meiner DigiCam, und anschließend noch komprimiert. Manche werden den Kopf schütteln. Und dennoch werdet ihr es Euch ansehen, weil toll ist und weil es von Herzen kommt. Also:

Es ist die Geschichte von Ben, dem Schwein. Ben isst viele Süßigkeiten, daher beschließen seine Eltern, ihn auf Reisen zu schicken. Irgendwann und irgendwo lernt er die Kuh Tereza kennen. Tereza hat ein Flugzeug und beide fliegen los. Über dem Dschungel in Indien geht ihnen der Sprit aus und sie stürzen ab. Irgendwann treffen sie ein U-Boot am Meer und der Kapitän lädt sie ein mitzukommen. Da Tereza aber Angst vor U-Booten hat, gehen sie weiter. Als nächstes erreichen sie einen Ort namens „Tramtarie“ (tschechisch für „Zauberwald“ oder „Märchenwald“). Dort wurde die Tochter der Königs von einem bösen Drachen entführt. Ben, das mutige Schwein, nimmt den Kampf auf und besiegt das Ungetüm. Zur Belohnung darf er die Prinzessin heiraten und bekommt mit ihr nicht weniger als neun Kinder. Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Tereza hingegen zog weiter und schickte Postkarten an das Paar nach „Tramtarie“. Die erste kam aus Griechenland...

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In der nächsten Woche schreibe ich dann wieder aus Deutschland. Dort werde ich hoffentlich einen ganzen Schub Bilder hochladen können. Ach Deutschland, ich freue mich auf Dich. Kaum zu glauben, aber bald ist Weihnachten und ich bin daheim. Vielleicht sehen wir uns. Es würde mich freuen!

Bis dahin: Kαλά Χριστοΰγευυα (Frohe Weihnachten)
Benjamin

Donnerstag, 13. Dezember 2007

Halbzeit in/m Marathon

Nach vielen Monden höre ich mir mal wieder die „Adore“ von den Smashing Pumpkins an. Neben mir liegt ein leckerer Joghurt, mit Müsli und frischen Orangen. Die Wohnung ist wie ausgestorben. Louis ist wahrscheinlich bei seiner niegelnagelneuen Flamme Kalliope, Ondrej beim Capoeira. Despina ist heute wieder angekommen und trinkt nun ausgiebig Kaffee mit Lucia, irgendwo in Athen.

Ich war bis vor einer Stunde auch noch unterwegs. Heute Nachmittag gab es eine englischsprachige Führung durch das „Archäologische Nationalmusem“, der wichtigsten Sammlung für antike Gebrauchsgegenstände und Kunstwerke. Anfangs habe ich mich sehr über unseren Leiter gewundert, blieb dieser teilweise nur wenige Sekunden an einem Schaufenster mit kleinsten Utensilien aus der Antike stehen und huschte alsbald zum nächsten. Ich habe mir mehr Details gewünscht. Nach drei Stunden war jedoch klar, dass der gute Mann uns nur einen kleinen Überblick über diese riesige Sammlung von Schmuckstücken, Büsten, Statuen, Fresken, Vasen und Tempelsimse geben konnte. Achttausend Quadratmeter Antike. Ich habe noch nie so viele Büsten gesehen, weder in der Glyptothek in München, noch in den vatikanischen Museen und auch nicht im „British Museum“. Ich werde mir einige Sachen nochmal separat betrachten. Darunter wird bestimmt auch der kleine römische Nachbau einer Statue von Athene sein. Das Original war damals knappe 13 Meter groß. Die Arme, Beine und das Gesicht waren aus Elfenbein, während der Körper mit nicht weniger als 1150kg Gold überzogen wurden. Athen war damals eine sehr wohlhabende Stadt und konnte sich solche Schmuckstücke leisten. Heute würde man sicherlich anders darüber denken...

Ich leiste mir keinen Schmuck, dafür jedoch immer wieder einen Trip ins Umland. Gestern fuhren Tereza und ich nach Marathon. Dort angekommen, spazierten wir ein wenig auf einem Friedhof. Es war bereits mein zweiter Besuch auf einem griechischen Gottesacker.
Es gibt einige Unterschiede zu den Pendants in Deutschland: Zum einen sind alle Gräber aus weißem Marmor, welcher dem ganzen Ort ein großes Stück Tristesse nimmt. Zum anderen sind viele Grabsteine mit einer Art Vitrine ausgestattet, in welche die Angehörigen Fotos, Ketten und andere Gegenstände hineinlegen können. Das macht jedes Grab individuell und unverwechselbar. Es gibt auch manche Grabsteine mit wunderschönen Reliefs. Ich erinnere mich da an einen Stein, auf welchem Fischerboot auf dem weiten Meer dargestellt wurde. Auf dem Grab selbst lag ein rostiger Anker. Auf anderen wiederum sind kleine Gefäße befestigt, in die man Weihrauch hineinlegen kann. Somit riecht es immer ein wenig wie in einer Kirche. Die bösen Geister werden hiermit vertrieben, damit man auch morgen noch in Frieden ruhen kann.

Danach machten wir uns auf dem Weg zum Marathon-See. Nach einem etwas halbstündigem Fußmarsch war uns klar, dass unser Ziel weiter weg ist, als wir zunächst vermuteten und wir entschieden uns, per Anhalter zu fahren. Oder es zumindest zu versuchen. Und tatsächlich, nach dem 5. Versuch hielt ein junges Paar in einem 3er Coupe und nahm uns mit. Wären wir den Weg zum See gelaufen, wären wir wahrscheinlich erst in der Dunkelheit dort angekommen. Die beiden konnten ein wenig Englisch und so unterhielten wir uns auf der 15minütigen Fahrt über Athen, Deutschland und das Ski fahren, während der bärtige Mann am Steuer mehrere gewagte Überholmanöver ausführte. Die beiden ließen uns direkt am See raus und wir überquerten die Staumauer, um uns einen Weg zu suchen, der direkt um den blau-grün schimmernden Fleck führte. Vorbei am Dickicht und durch modriges Erdreich stiegen wir einen Abhang hinab, bis wir schließlich einen Pfad entdeckten. Was folgte, war ein nicht mehr für möglich gehaltenes Herbsterlebnis, welches ich für dieses Jahr eigentlich schon abgeschrieben habe. Ich sah gelbe und rote Blätter an Bäumen, füllte meine Lungen mit einer klaren, erdigen Luft und genoss die dunklen Wolken am Himmel, welche zwar bedrohlich aussahen, uns jedoch bis auf einen kleinen Nieselregen in Ruhe ließen. Die Landschaft hatte nichts mediterranes. Sie wirkte sehr mitteleuropäisch, und ich fühlte mich an einen milden Oktobertag am Edersee erinnert. Einen Großteil des Weges schwiegen Tereza und ich. Jeder sog die herbstliche Atmosphäre in sich auf und begab sich in seine eigene Welt. Fabelhaft. Irgendwann war jedoch klar, dass wir es nicht ganz um den See schaffen würden, zumindest nicht mit dem restlichen Tageslicht. Wir verließen den Pfad und folgten einer Geräuschkulisse, hinter der wir eine Stadt vermuteten. Die Sonne ging langsam unter, und wir befanden uns irgendwo in der Pampa. Unterwegs trafen wir wild streunende Hunde, die uns aggressiv anbellten und so heftig die Zähne fletschten, dass wir uns mit Stöcken bewaffneten und schnurstracks weitergingen. Sollte ich irgendwann mal graue Haare bekommen, so bin ich diesen am Sonntag ein großes Stück näher gekommen. Oh Mann, wir hatten echt Schiss, aber es ist ja alles gut gegangen. Ja wahrlich, was folgte war ein Happy-End. Kurz nach der Hunde-Attacke fuhr ein Auto an uns vorbei. Und wieder war es ein Paar, das anhielt, um uns mitzunehmen. Wir haben noch nicht mal den Daumen raus gehalten. Der Fahrer, ein ca. 40 Jahre alter Mann, sagte, wir hätten eben so ausgesehen, als könnten wir eine Mitfahrgelegenheit gebrauchen. Sein Ziel war „Metamorphis“, ein Stadtteil von Athen. Perfekt. Der Small-Talk war angenehm, und seine Freundin hatte Spaß daran gefunden, durch Tereza ein paar Dinge über Tschechien in Erfahrung zu bringen. Die meiste Zeit unterhielt sich jedoch das Paar. Ich versuchte ein paar Sachen zu verstehen, und zum ersten Mal überhaupt hier in Griechenland gelang es mir auch. Der Fahrer war irgendwann mal in Italien und wurde für einen Italiener gehalten. Als er jedoch sagte, dass er Grieche sei, war der Italiener überrascht und fragte ihn über verschiedene Fußballvereine in Athen aus. Das sagte der Mann seiner Freundin, die mindestens 10 Jahre jünger war als er. Wie dem auch sei: Ich fragte höflich, ob ich die Geschichte richtig verstanden habe und er nickte. Ich war froh und rang Tereza ein erstauntes Lächeln ab. Danach hörte ich mir den Monolog unseres Fahrers nicht mehr an, sondern schaute aus dem Fenster. Dort zeichnete sich die Kontur der athenischen Vororte ab. 20 Minuten später ließ der gute Mann uns an einer Metro-Station raus. Wir bedankten uns bei ihm noch etwas freundlicher als bei dem Fahrer zuvor, denn dessen Fußmatten haben wir nicht so sehr verschmutzt wie die seinigen...

Am selben Abend traf ich noch Florian, Markus und das französische Mädel, deren Namen ich mir einfach nicht merken kann (Lolren, Nolren ?!). Zusammen schauten wir uns den aktuellen Film von David Lynch an. „Inland Empire“ beginnt unscheinbar. Alles scheint logisch und nachvollziehbar. Wer aber jedoch schon mal einen Film von Lynch gesehen hat weiß, dass es nicht lange so bleibt. Und so zerlaufen Realität und Scheinwelt so sachte ineinander wie geribbelter Käse in die Lücken eines Gratins im Backofen. Der totale Mindfuck. Tausend Fragen, keine Antwort. Ich habe keine Interpretation, und wenn ich sie hätte, wäre hier der falsche Ort dafür. Was für ein Streifen.

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Ich habe nun zwei Tage Pause gemacht und schreibe weiter. Im Hintergrund läuft gerade der letzte Song von Pink Floyds „Dark Side of the Moon“. Am heutigen Mittwoch fiel die Uni aus, weil so gut wie alle öffentlichen Einrichtungen bestreikt wurden. Bereits gestern liefen wieder unzählige Techniker an der Patission (Straße des 28.Oktober) herum und installierten erneut diese unglaublich großen Lautsprecher. Bühnen wurden aufgebaut und Plakate an die Laternen getackert.
Es gibt wohl ein neues Gesetzesvorhaben. Die Beamten sollen, ganz grob gesagt, für weniger Gehalt mehr arbeiten. Und so gibt es hier den nächsten Streik. Mittlerweile habe ich aufgehört sie zu zählen.

Lucia und Despina haben heute einem Tannenbaum-Verkäufer ein paar Zweige abgeluxt und diese in die Küche gestellt. Ich habe eine Lichterkette drumgebunden und den Stecker reingesteckt. Jetzt haben wir so etwas wie einen Christbaum in unserer Wohnung. Das Teil wirkt fast schon lächerlich, aber dennoch verbreitet es ein wenig Weihnachtsstimmung. Als Despina vorhin der Küche war, sang sie einige Weihnachtslieder. Lucia ließ einige stimmungsvolle Stücke wie „O Du Fröhliche“ aus ihrem Laptop erklingen. Neben ihr lag ein Zettel mit Keksrezepten ihrer Großmutter, die sie wohl am Wochenende backen möchte. Darunter auch Vanillekipferl, die mit den Zimtsternen zu meinen Lieblings-Plätzchen gehören. Warten wir es ab.
Hier in Athen wird es nun auch etwas weihnachtlicher, wenngleich sich dies nur auf die Straßenbeleuchtung beschränkt. Dort hängen nun leuchtende Sterne und auch ein paar Engel.
Die unzähligen kleinen Basare dieser Stadt sind überhäuft mit singenden, tanzenden und „Ho-Ho-Ho“enden Weihnachsmännern in Plastikform. Ihr kennt bestimmt diese kitschigen Spielzeuge, in die man Batterien hineinlegt, sie einschaltet und einmal darüber lacht, bevor sie anfangen zu nerven. Mir scheint, als sei vor wenigen Wochen eine ganze Armada von diesen Spielzeugen aus China in Piräus gelandet. Dieses leuchtenden, blinkenden und tönenden Dinger sind überall. Manchmal läuft man durch eine Allee von Spielzeugen, und deren Gebimmel wird zu einer abstrusen Symphonie. Fast noch schlimmer als der Lärm der Straße. Und dennoch bleibe ich manchmal bei einem dieser fliegenden Händler stehen, um über die lustigen Markennamen zu schmunzeln. Da verkaufen die Inder doch tatsächlich Socken von „Adibos“ oder Unterhosen von „Kalven Kleen“. Billige Motorradjacken mit dem Aufdruck der bekannten deutschen Biermarke „Warsetner“ sind ebenfalls zu finden. Bleibt man allerdings zu lange stehen, quatschen die Händler einem ein Kotelett an die Backe, und darauf habe ich keine Lust. Also schnell weg hier...

Etwas mehr Weihnachtsstimmung kam letzte Woche auf, als Julia, Silvana und Angela zum „Nikolaus Sit-In“ luden. Es gab Glühwein, selbst gebackene Kekse und auch Spekulatius. Das war ein schön. Merkwürdig war (mal wieder) die Temperatur, denn wir tranken unseren Glühwein auf dem Balkon. Einige von uns hatten nur ein T-Shirt an. Den meisten anderen reichte ein einfacher Pullover.

Und dennoch bleibe ich im meinem Zimmer, vor allem um zu Lesen. Für ein Seminar habe ich mir nun Christian Fürchtegott Gellerts Roman „Leben der schwedischen Gräfin von G.“ durchgelesen. Ein Werk aus der Zeit der Empfindsamkeit. Es gab einige Momente, die sehr tragisch waren und das Schicksal einiger Aktanten mich wirklich berührt hat. Andererseits gab es auch Passagen, in denen die an den Tag gelegte Tugend so überbordend und unrealistisch war, dass ich mir beim Lesen des Buches unweigerlich an die Stirn tippen musste. Unfassbar ist zum Beispiel die Loyalität des Herrn R., der viele Jahre nach dem (vermeintlichen) Tod des Grafen neuer Ehemann der Gräfin wird und wiederum nach einigen Ehejahren erneut die Rolle des guten Freundes einnimmt, als der Graf zurückkehrt. Oder der Brite Steeley, der in russische Kriegsgefangenschaft gerät und von einem russischen Mitgefangenen übel gemobbt wird. Nachdem dieser brutal verdroschen wurde, bietet Steeley ihm etwas von den spärlichen Brotkrumen an, damit er überlebt. Goethe sagte ja schon: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“Aber diese Welt scheint mir doch zu irreal, wenn es auch viele tugendreiche Menschen geben mag. Vielleicht sollte es einfach nur eine Idealvorstellung widerspiegeln, und nicht die wahren Verhältnisse der damaligen Zeit dokumentieren.
Auch hier möchte ich mich, wie beim Film von David Lynch, nicht allzu tief einlassen. Ich möchte nur anmerken, dass mich dieser Roman zeitweise in eine andere Welt entführt hat. Ich vergaß Athen und sog die Zeilen in mich auf, so das die Zeit wie im Fluge verging. Das passiert mir nicht bei allen Büchern, und nun habe ich wieder eines entdeckt. Diese Tatsache freut mich und war ein kleines Highlight der letzten Woche.

Wenn wir schon mal beim Thema „Zeit“ sind, möchte ich schnell sagen, dass einige Erasmus-Studenten mittlerweile schon zu Hause sind, um das Weihnachtsfest vorzubereiten. Vor allem die Italiener können hier nicht schnell genug weg. Die meisten anderen werden in der kommenden Woche ihren Weg nach Hause antreten. Ich werde somit einer der letzten sein, die Athen verlassen.
Dafür komme ich wohl, mit Markus und Julia, am spätesten wieder. Wie wir drei letztens feststellten, nehmen wir den selben Flieger am 12. Januar.

Und nochmal die „Zeit“. Ende dieser Woche ist offiziell Halbzeit für mich und meine Zeit hier in Athen. Das Semester endet am 29. Februar. Ich spiele mit dem Gedanken, noch 1-2 Wochen länger hier zu bleiben und durch das Land zu reisen. Bei meinen Ausflügen ins Umland von Athen habe ich schon so viele Orte entdeckt, die meinen Glauben an ein anderes, schöneres Griechenland abseits der Hauptstadt aufrecht erhalten. Wie wird es wohl erst weit entfernt von diesem Moloch aussehen?!

Ich weiß allerdings, wie es in Dortmund und in Oer-Erkenschwick aussieht, denn in diesen beiden Städten habe ich den Großteil meines Lebens verbracht. In den letzten Tagen denke ich oft an ihre Straßen, Häuser und Parks. Diese Orte scheinen so unendlich weit entfernt, und doch werde ich bald wieder dort sein. Ich habe ein gemischtes Gefühl, welches sich aus Fernweh, Heimweh, Neugier, Ablehnung und Wertschätzung zusammen setzt. Ich werde meine Heimat wohl mit anderen Augen sehen. Alles wird mir bekannt vorkommen. Und dennoch wird mir dieses „alles“ leicht verfremdet unter die Augen treten. Ich sehne mich dorthin, und wenn ich einmal da bin, wird es vielleicht auch ganz schnell wieder wie gehabt. Dann freue ich mich bestimmt wieder auf Griechenland und begreife möglicherweise erst dann so richtig, was ich hier eigentlich habe. Das Gefühl der zeitlichen Begrenzung nimmt Überhand und ich sauge meine Umwelt intensiver auf als zuvor. Ich gehe hier bald weg, komme danach wieder, bin danach aber wieder weg und komme vielleicht nie mehr wieder. Dann werde ich irgendwann an die Menschen hier und meine gesammelten Erfahrungen denken, lächelnd ein Glas Wein schwenken und mir vielleicht ein paar Bilder ansehen. Wer weiß, wer weiß...
Meine Güte, ich werde ja fast schon sentimental. Bei all diesen Träumereien darf ich nicht vergessen, meine Hausarbeiten vorzubereiten. Für eine habe ich mir gestern die nötigen Unterlagen kopiert. Ungefähr 350 Seiten Papier.

Ich schließe diesen Eintrag mit meinem ersten Erfolgserlebnis an der Uni Athen ab. In meiner ersten Klausur (Sprachvarietäten-Sprachwandel) habe ich von 25 Punkten 24 erreicht. Schuhu.

Bis dann.
Benjamin

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Mein Video der Woche zeigt einen zufriedenen Mann.
Seht ihn Euch an und tut es ihm nach.

Montag, 3. Dezember 2007

Panique au village




Falls Ihr "Panique au village" noch nicht kennt, dann schaut Euch diese eine Folge mal an. Ein Cowboy, ein Indianer, ein Pferd und viele andere erleben die tollsten und absurdesten Abenteuer. Liebevoll gemacht, mit Spielzeugfiguren, Watte und einem dicken Schuss Humor. Wenn man einmal anfängt, kann man nicht mehr aufhören. Auch ohne Französisch-Kenntnisse richtig gut. A bientôt.

Phase 3-4

Sonntag Abend in Athen.

Ich bin ziemlich platt von einem Ausflug ins bergige Umland von Attika. Da ich in den nächsten Tagen sehr beschäftigt sein werde, möchte ich jetzt ein wenig von den letzten Tagen hier in Athen erzählen. Mein Zettel ist randvoll.


Ich möchte es nicht zur Gewohnheit werden lassen, aber ich fange auch heute mit einer schlechten Nachricht an. Jirka, mein mir mittlerweile doch sehr ans Herz gewachsene Tscheche vom Zimmer nebenan, ist vor einigen Tagen nach Hause geflogen, weil es ihm seit geraumer Zeit überhaupt nicht gut ging. Seine roten Backen sind einer schrecklichen Blässe gewichen, er hat Gewicht verloren und sich sehr häufig schwindelig gefühlt. Die Ärzte hier konnten nichts finden, und so entschloss er sich kurzfristig, in die Heimat zu fliegen und sich dort untersuchen zu lassen. Armer Jirka. Ondrej hat ihn ins Krankenhaus begleitet und mir von den Verhältnissen dort erzählt. Die Warteräume seien hoffnungslos überfüllt, und wenn ein Name aufgerufen wird, drängt sich ein Pulk von Menschen an die Tür, ganz gleich ob sie es sind oder nicht. Es zählt das Recht des Stärkeren und Ondrej war überrascht, welche Kräfte alte Menschen mobilisieren können, wenn sie unbedingt untersucht werden möchten. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Keine Gnade.

Aus diesem ominösen Raum traten immer wieder Krankenschwestern mit Stullen, Rollstuhlfahrer und Pfleger, die die Betten von frisch operierte Patienten vor sich her schoben. Chaos ohne Ende.

Und dennoch: Wenn man es bis dorthin geschafft hat, hat man schon einen nicht unerheblichen Leidensweg hinter sich. Jirka wurde von Büro zu Büro, von Arzt zu Arzt geschickt, nur um die richtigen Papiere für die Hauptuntersuchung im Krankenhaus zu bekommen. Zermürbend.

Ondrej denkt außerdem, dass Jirka mit dem Auslandssemester generell nicht so gut klar kommt. Es ist sein erster richtiger Aufenthalt abseits seiner Heimat, dem 17.000 Menschen zählenden Ort „Jicin“. Sein Englisch ist nicht das Beste, und so gab es wohl häufig Verständigungsschwierigkeiten zwischen ihm und den Dozenten. Vielleicht ist sein Problem wirklich psychosomatisch. Alle untersuchten Werte waren OK... Jirka kommt im Januar wieder. Dann hoffentlich wieder mit roten Backen und dem lauten Lachen, welches ihn mir so überaus sympathisch macht.


In den letzten Tagen habe ich immer wieder Leute gesehen, die sich eine Erkältung eingefangen haben und nun etwas kürzer treten. Ich essen täglich meinen Apfel und die leckeren Orangen in meinem Joghurt, damit mir das alles erspart bleibt. Bei meinem letzten, kleinen Ausflug hatte ich eine leichte Rotznase aufgrund des scharfen Windes, der über das Olympia-Gelände fegte. Dennoch war es es wert, dort hinzufahren...


Nur 20 Minuten Metro-Minuten entfernt liegt das riesige Areal, auf welchem 2004 der Großteil der olympischen Wettkämpfe ausgetragen wurde. Es ist schon ein erhabenes Gefühl, wenn man direkt unter der riesigen Stahlkonstruktion steht, an deren Spitze für knapp vier Wochen die olympische Flamme brannte. Dabei sein ist alles, auch für die Besucher dieses Ortes.

Ich schlich ein wenig um das Stadion herum und fand schließlich ein offenes Tor, durch welches ein Fernsehteam Kabel und andere Sachen hinein schleppten (an diesem Tag spielte AEK Athen gegen den AC Florenz). Es schien keinen zu stören, dass ich ein wenig durch die Tribüne lief und alles auf mich wirken ließ...Das Olympia-Stadion von Athen...Björk singt „Oceania“ zur Eröffnung...Die Innenfläche des Stadions ist mit Wasser geflutet... Nord- und Südkorea marschieren gemeinsam ein...Live-Übertragung in über 100 Länder dieses Planeten...

Doch das ist nun über 3 Jahre her, und ich habe wirklich den Eindruck, als sei mit dem olympischen Feuer auch das Leben auf diesem großen Gelände erloschen. Im Wasserbecken tummeln sich ein paar Schwimmer, das Stadion wird (vorübergehend / Bau eines neuen Stadions) vom Fußballclub AEK genutzt. Was mit den anderen Hallen ist kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Fakt ist, dass dieser Ort einer Geisterstadt gleicht. Es sind kaum Menschen anzutreffen. Unkraut bahnt sich seinen Weg durch die zahlreichen Fugen. Müllsacke fliegen durch die Gegend und Schilder rosten vor sich hin. Es wurde wohl nicht nachhaltig genug geplant. Als Athen damals den Zuschlag für die olympischen Spiele bekam, tat sich ein paar Jahre erstmal gar nichts. Erst als der damalige IOC-Präsident den Entzug der Spiele androhte, kam man endlich in Bewegung. Das Ende ist bekannt: Auf den letzten Drücker wurden Nachtschichten geschoben, um alles rechtzeitig fertig zu bekommen. Man munkelt, dass einige Schrauben bei der Eröffnungsfeier noch nicht so fest geschraubt waren, wie es eigentlich nötig gewesen wäre. Sei es drum. Der ganze Spaß hat zwar knapp 6 Milliarden Euro gekostet, brachte aber dennoch Gewinn ein. Heute jedoch werden diese großartigen und modernen Wettkampfstätten jedoch kaum genutzt, und das ist sehr schade.


Mein Sport in Athen ist, neben ein paar Sit-Ups und Liegestützen, der alltägliche Weg von der Uni bis zur Mensa in Exarchia, und dann nach Hause, geworden. Je nach Weg brauche ich dafür 45-60 Minuten. Nachdem hier ich nun das Joggen endgültig aufgegeben habe (macht einfach keinen Bock in Athen), gehe ich einfach jeden Tag durch die Straßen dieser Stadt und finde so meinen körperlichen Ausgleich. In Zografou, dem Stadtteil in welchem die Uni ist, ist es auch sehr angenehm zu laufen. Man findet in auf diesem Hügel sehr schöne Straßen, die mich an Bilder aus San Francisco erinnern. Mittags gibt es oft einen Markt auf der Straße, mit buntem Obst und Gemüse und nicht weniger grellen Schreihälsen, die sich gegenseitig die Preise um die Ohren hauen. Aber meistens gehe ich Abends nach Hause, nach dem Sprachkurs...


Dieser hat sich sehr schnell sehr drastisch geleert. Fingen wir Ende Oktober noch mit ca. 30 Leuten an, sind es mittlerweile fast nur noch knapp 10 Leute, die wirklich regelmäßig dabei sind. Und die Leute, die sich eine oder mehrere der knapp dreistündigen Sitzungen entgehen lassen, haben danach oft nicht die Motivation, sich den ganzen Stoff selber nochmal anzueignen. Das Tempo ist nach wie vor sehr hoch, und ich habe auch meine Probleme mit dem Griechischen. Vokabeln sind natürlich das A und O, aber auch bei der Konjugation hapert es noch. Darüber hinaus gibt es so fiese Dinge wie geschlechterspezifische Adjektive. Auf dem Papier ist die Sprache gar nicht so schwierig. Man müsste sich einfach mehr mit ihr auseinander setzen. Vielleicht würde ich es machen, wenn die Credit Points für den Test im Januar für mich unerlässlich wären. Sind sie aber nicht. Und dennoch möchte ich den Test schreiben, ganz gleich wie er ausgeht. Allein schon, weil ich eine Wette mit Tereza laufen habe...


Wir wetten nämlich darum, wer das bessere Ergebnis einfährt. Gewettet wird um nichts. Um die Ehre vielleicht, wenn überhaupt. Aber darum geht es auch gar nicht. Mit Tereza kann man nicht nur wetten, sondern auch reden, spazieren gehen, herum albern, trinken gehen, einfach mal nichts sagen, tschechisch lernen, Ausflüge machen, herum lärmen und sich manchmal auch gegenseitig boxen. Sie ist der perfekte Kumpeltyp für meine Zeit hier in Athen. Zum einen, weil wir generell sehr viele Ansichten teilen, und zum anderen, weil wir beide nicht zu den Typen gehören, die das Auslandssemester zum „Austoben“ nutzen. Es ist, wenn man das nach der kurzen Zeit überhaupt sagen kann, ein sehr freundschaftliches Verhältnis zwischen uns gewachsen. Vielleicht auch in dem Bewusstsein, dass man nur einmal soviel Zeit miteinander verbringt. Ich mag ihre humorvolle, offene und direkte Art im Umgang mit Menschen. Sie ist ein sehr sympathisches, leicht verrücktes und flippiges Wesen, das mich häufig zum Lachen bringt. Sie hat mich schon zu sich und ihrem Freund nach Brno in Tschechien eingeladen, und mit jedem Tag kommen neue Sachen hinzu, die sie mir dort zeigen möchte. Normalerweise bin ich immer sehr vorsichtig mit Zusagen jeglicher Art, aber es gibt Menschen, die wirklich das Leben bereichern und bei denen der Kontakt nicht abbrechen lassen sollte. Hier in Athen gibt es einige Leute, auf die ich echt große Stücke halte und mit denen ich vielleicht auch nach ERASMUS in Verbindung bleiben werde. Tereza ist aber eben die erste, bei der ich das mit Gewissheit sagen kann.

An den letzten drei Highlights der vergangenen Tage war sie auch mit dabei. Zwei Ausflüge, und ein Konzert. Aber immer der Reihe nach...


Nachdem es mir Mitte / Ende November nicht so gut ging, beschloss ich bekannterweise, mich mindestens einmal pro Woche dem Trubel hier zu entziehen. Den Anfang machte ein Ausflug nach Kap Sounion, an den Südzipfel Attikas. Auf dem ca. 1 ½ stündigen Weg dorthin fuhren wir permanent an der Küste entlang. Die Sonne schien durch die großen Fenster, und draußen sah man tatsächlich Schwimmer im Meer. Es tut mir wirklich leid, wenn ich den einen oder anderen daheim damit neidisch mache, aber es ist hier einfach so ;-)

Wie dem auch sei. Wir fuhren zu viert (Florian, Sebastian, Tereza und ich) an diesen Ort, an dessen höchsten Punkt ein unglaublich schöner Tempel steht, welcher dem Meeresgott Poseidon gewidmet ist. Dort angekommen wanderten wir etwas herum und suchten die Nähe des Meeres. Es war Balsam für die Seele, dem Kommen und Gehen der Wellen zu lauschen und die leicht salzige Luft zu schmecken. Ich schoss Fotos von einigen Pflanzen auf einem Felsvorsprung und legte mich danach einfach hin, um für ein paar Minuten abzuschalten. Ich konnte spüren, wie meine Batterien sich mit jedem Atemzug regenerierten und wie wertvoll diese Momente für meine kommende Woche in Athen sein würden. Auch wenn ich spätestens seit diesem Jahr eher ein Freund der Berge als ein Freund des Meeres bin, so gab mir dieser Tag doch sehr viel Kraft. Nicht zu vergessen die tolle Aussicht, die sich besonders zum Sonnenuntergang bot. Langsam aber sicher schluckte der Horizont den glühenden Feuerball. Pärchen knutschten sich, und sie hätten vorher sicherlich gerne ihre Namen in den Marmor des Tempels geritzt, so wie es viele Liebende über Jahrzehnte gemacht haben. Dieser ist nun aber abgesperrt und darf nur noch angeguckt und fotografiert werden. Selbst Lord Byron müsste sich das heute verkneifen. Der bekannte Lyriker, Feldherr und Lebemann hat diesen Ort seinerzeit des öfteren aufgesucht. Dies jedoch immer mit wechselnder weiblicher Begleitung...


Tolle Begleitung hatte ich am gesamten Wochenende. Freitag wollten Markus, Gregor, Florian, Iwo, Lonrel und ich zum „Art Brut“ Konzert. Markus hat in seiner kecken Art die Band einfach angeschrieben und gesagt, dass wir (in dem Fall nur Markus, Gregor und ich) arme Erasmus-Studenten seien und uns wahnsinnig darüber freuen würden, die Band live zu sehen. Art Brut antwortete auch tatsächlich und teilte mit, dass sie kein Problem darin sähen, uns auf die Gästeliste zu setzen. Als wir dann vor dem Club standen, waren unsere Namen nicht vermerkt. Schade. 25€ wollte ich nun nicht dafür zahlen, also sind wir losgezogen und haben später auch eine andere Party gefunden...Viel toller war aber der gestrige Abend. Wir (Ondrej, Markus, Gregor, Tereza, ein mir unbekannter Norweger samt seiner mir unbekannten französischen Freundin plus moi) gingen in den Rodeo-Club, um uns die, laut BBC, beste „Led Zeppelin Tribute-Band“ anzusehen. Nachdem uns die vier Herren lange Zeit haben warten lassen, kamen sie endlich auf die Bühne und legten mit „Immigrant Song“ einen richtigen Kracher vor. Es folgten viele bekannte Stücke wie „Babe I'm gonna leave you, Kashmir, No quarter, Stairway to Heaven, Dazed and Confused...“. Technisch hatte es die Band wirklich drauf, wenn gleich ich vom Sänger zu Anfang etwas enttäuscht war. Im Laufe des Konzertes steigerte sich der Lockenschopf aber und wenn man die Augen schloss, sich dem Sound hingab und dann wieder auf die Bühne blickte, hätte man für einen Moment wirklich meinen können, auf einem Konzert von Led Zeppelin zu sein. Das richtige Outfit hatten die Jungs. Besonders der fesche Jimmy Page-Verschnitt an der Gitarre setzte auch durch seine sehr enge Stretch-Hose samt passendem Oberteil Akzente. Aber darum ging es nicht: Es war für mich ein echter Genuss, mir Led Zeppelin Songs live anzuhören. Ich habe getanzt, wie ich schon seit Monaten nicht mehr getanzt habe. Unglaublich intensiv und schön das Ganze, wenn mir auch das Konzert selbst etwas zu lang ging. „Let Zep“, so hieß die Band, hatte ein über dreistündiges Programm. Dazu kam, dass „Jimmy Page“ sich bei manchen Soli in einen minutenlangen Rausch spielte. Meine Ohren klingeln noch heute von dem Konzert.

Da half auch nicht der Ausflug in die Bergwelt Attikas...


Tereza und ich fuhren heute gegen 11h in einen Vorort von Athen, von welchem aus wir in Richtung eines Bergmassivs wanderten. Gegen 13.30h erreichten wir die „Koukaki-Hohle“, welche erst 1929 entdeckt wurde. Damals fiel ein Schaf in ein ca. 20 Meter tiefes Loch. Der Schäfer stieg hinunter, und fand sein Schaf umgeben von Stalaktiten und Stalakmiten. Die Führerin war so freundlich und erklärte nur für uns beide alles auf Englisch, obwohl wir die beiden einzigen Nicht-Griechen in der Gruppe waren. Die Höhle selbst ist wahrlich einer der unheimlichsten und gleichzeitig schönsten Orte, an denen ich jemals zugegen war. Diese Mischung aus dunklem, feuchten Raum, gepaart mit der Lichtinstallation und den bizarren Formen des Tropfsteins ist einfach faszinierend. Ich sah ein Gebilde, das mich an eine Kirchenorgel erinnerte. Auf dem ersten Blick hätte man wirklich meinen können, die Pfeifen erkennen zu können. Dieses über 3 Meter hohe Naturkunstwerk ist mehr als 2 Millionen Jahre alt. Der Gedanke, dass 1cm Tropfstein sich in 100 Jahren bildet, gibt dem Faktor Zeit eine ganz andere Dimension. Ein Trip in die Vergangenheit... Zum Abschluss der Führung wurde eine Lichtorgel eingeschaltet, welche den Stein in warmes Licht hüllte. Im Hintergrund lief klassische Musik. Toll.


Die Höhle selbst ist auf halber Höhe des Berges, den wir bestiegen. Die Führerin teilte uns mit, dass der Berg vom Militär genutzt wird und nicht passierbar ist. Dennoch packte uns der Ehrgeiz, ein paar Meter hoch zu klettern, um die Aussicht zu genießen. Nach wenigen Metern steilen Aufstiegs über Schotter und Felsplatten war uns klar, dass es keine leichte Sache werden würde, nach oben zu gelangen. Manch ein Stein erwies sich als lose, und so überprüften wir jeden Handgriff mindestens zweimal, bevor wir uns wirklich irgendwo festhielten oder abstützten. Teilweise krochen wir auch auf allen Vieren den Berg hinauf, und manchmal hatten wir beide auch Angst, besonders vor dem Abstieg. Naja, letztendlich haben wir es doch geschafft und sind ein sehr großes Stück nach oben gekommen. Wir hatten einen wunderbaren Blick über den Osten Attikas, konnten den süd-östlichen Ausläufer Athens sowie den Flughafen erkennen. Am Horizont sah man das Meer bläulich schimmern. Dann saßen wir eine Weile dort oben in der Stille, und jeder fuhr seinen eigenen Film. Da war sie wieder. Die Stille, die ich in den Dolomiten so zu schätzen gelernt habe. Mir scheint, als habe man auf einem Berg den Überblick über beinahe alles. Sowohl über das Tal unter sich, als auch über sich und sein Innenleben. Man steht, im wahrsten Sinne des Wortes, über den Dingen. Alles scheint klein und weit weg, und dennoch verfällt man nie in eine Form von Naivität, die einem zur Ausblendung der Realität verleitet. Man denkt anders nach. Aus einem anderen Blickwinkel, aus einer anderen Sicht...


Der Abstieg war, wie erwartet, lang und beschwerlich. Ich bin auch gelegentlich weg gerutscht und habe nun leichte Schürfwunden an den Unterschenkeln. Meine Eltern schütteln bestimmt den Kopf, wenn sie das hier lesen. Aber lasst Euch gesagt sein: Wir kamen sicher unten an, liefen zur Bushaltestelle und fuhren anschließend zurück nach Athen. Und das war es alles wert, keine Frage.

Nach einer heißen Dusche und einer Pita sieht die Welt wieder ganz anders aus...


Und jetzt bin ich wieder hier in meinem Bett und tippe. Heute, am ersten Advent. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich die Vorweihnachtszeit nicht in Deutschland verbringe. Auch wenn an vielen Stellen dieser Stadt Weihnachtsbeleuchtung montiert ist und mein Lieblings-Supermarkt Plastikbäume samt Lametta anbietet, möchte sich noch nicht so recht die dementsprechende Stimmung einstellen. Vielleicht liegt es an der Temperatur, vielleicht auch an der allgegenwärtigen Hektik Athens, die jeden Funken Idylle sofort im Keim erstickt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich momentan einfach mehr für die Uni zu tun habe und der diesjährige Dezember noch sehr sehr jung ist. Spätestens Heiligabend wird sich dies jedoch ändern...


Ja, ich habe nun mehr für die Uni zu tun. Vielmehr möchte ich noch im alten Jahr einen dicken Batzen meines Gesamtpensums erledigen, damit ich im Januar / Februar etwas ruhiger starten kann.

Das Dezemberprogramm sieht wie folgt aus: 2 Referate, Lesen eines Buches plus Sekundärliteratur, Zusammenfassen eines anderen Buches, Lernen für den Sprachkurs. Wenn ich das alles packe, kann ich ohne schlechtes Gewissen nach Deutschland fliegen. Und damit ich das auch packe, werde ich nun das Schreiben einstellen. Mittlerweile haben wir hier 2h, und mein erstes Seminar beginnt um 11h. Ich kann aber nicht aufhören, ohne Euch kurz von meinem Video der Woche zu erzählen. Es ist ein kleiner, billiger Take von meinem bisherigen Lieblingsort in Athen. Er befindet sich kurz unterhalb der Akropolis, die man auch auf dem Video sehen kann. Vor zwei Wochen war ich dort und habe dort den Sonnenuntergang aufgenommen. Das vorherige Gewitter hat mir noch ein paar Wolken am Himmel gelassen, um das Ganze optisch abzurunden.


Take care. Benjamin




P.S: Despinas Freund ist nun, nach dem Unfall und einiger Zeit im Krankenhaus, wieder wohlauf.

„Des“ selbst ist noch in Stockholm.


P.P.S: Die Studentenproteste in Exarchia waren wohl weit weniger gewalttätig als angenommen. Vielleicht hat auch das schlechte Wetter an diesem Wochenende die Leute davon abgehalten, mit ihren roten Flaggen auf die Straße zu gehen. Who knows.


P.P.S: Nein, wir haben immer noch keinen eigenen Internet-Anschluss.