Freitag, 8. Februar 2008

Meteora, Playboys und Mimosen


Freitag Morgen in Athen. Draußen pfeift ein kalter Wind, der alle paar Sekunden mit voller Wucht gegen meine Balkontür donnert. Der Himmel ist grau-blau und aus den Lautsprechern erklingt die CD des Mönche-Chors von Meteora. Mein Souvenir von diesem wunderschönen Ort...

Tereza und ich bestiegen letztes Wochenende den Zug nach 'Kalambaka', das etwa 350KM nord-westlich von Athen liegt. Nach knapp 5 ½ Stunden Fahrt waren von den in Attika eingestiegenen Personen nur noch wir zwei und die Japaner-Gruppe übrig, die sich die lange Fahrzeit mit Gesellschaftsspielen vertrieb. Als wir dann endlich ankamen, zogen alle sofort ihre dicken Digital-Spiegelreflexkameras aus ihren Taschen. Und sie hatten auch allen Grund dazu, denn vor uns türmten sich anthrazit-graue Felsen auf, die einem einen ganz anderen Eindruck von Griechenland vermitteln. Abseits von all den Tempeln der Antike und den vielen Inseln liegt hier in ein echter Schatz, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Aber alles der Reihe nach.

Tereza und ich wanderten zunächst ziellos durch die Landschaft und ließen uns von den teilweise bizarren Felsgebilden berieseln. Mal sahen wir Totenköpfe, mal den Zahn eines Riesen und mehrmals originalgetreue Nachbildungen einer Vagina. Wie beim Grand Canyon wusch auch hier das Wasser die Steine glatt und gab ihnen ihre unverwechselbare Form und Gestalt. Für mich war es ein echt fesselnder Gedanke, auf dem ursprünglichen Meeresboden zu laufen und die Spuren
zu entdecken, die im Laufe von Millionen Jahren hier entstanden: Cliffs, Muschelbänke, kleine Inseln. Und immer wieder die ovalen Auswaschungen, die dem Felsen vermeintlich das Augenlicht schenken. Wenn man sich die Zeitspanne vorstellt die es brauchte, um dies alles zu machen, dann kommt einem das eigene Leben so kurz vor wie ein Wimpernschlag. Man merkt, wie klein man selbst und alles andere um einen herum ist, und das ist einer der Gründe warum ich Berge (und auch diese Felsen hier) so toll finde.



Nach unserem ersten Rundgang liefen wir in den Nachbarort 'Kastraki', welcher näher an den Klöstern liegt. Wir fanden schnell ein günstiges Zimmer (12,50€ pro Kopf/Nacht), ließen unsere Sachen dort und wanderten bergauf. Über Stock und über Stein, kreuz und quer. Irgendwann entdeckten wir eine Höhle, in welche wir dann teilweise auf allen Vieren hineinkrabbelten. Aber es lohnte sich die großen Felskanten entlang zu klettern, um irgendwann mitten im Bauch dieses Naturbauwerks zum Stehen zu kommen und sich darüber klar zu werden, dass man an diesem Ort ausschließlich von Stein umgeben ist. Man kommt sich fast vor wie ein Embryo im Mutterleib. Zumindest ich hatte das Gefühl. Tereza schüttelte den Kopf.

Auf dem Rückweg kauften wir ein paar Lebensmittel für den kommenden Tag und legten uns früh in die Betten, nicht aber ohne den Fernseher einzuschalten (das erste Mal überhaupt in Griechenland), der an der Wand montiert war. In den Nachrichten wurde über erneute Ausschreitungen der Anarchisten in Athen berichtet. Dabei splittet der Sender den Bildschirm in 4-6 Kästen und setzt in jeden einen Experten zu einem bestimmten Thema, während in der oberen Bildhälfte ein Zusammenschnitt der Ereignisse zu sehen ist. Die Griechen haben wohl kein Problem mit dieser Art Kommunikation, denn es passiert nicht selten, dass der eine den anderen nicht ausreden lässt und ein dritter seinen Gesprächsbeitrag nach langem Warten auch endlich loswerden möchte. Und so streiten sie sich. Zapp! Ein Bericht über die Nachfolge an der Spitze der griechischen Kirche. Zapp! Eine amerikanische Dauerwerbesendung. Zapp! Sport. Zapp! Kalinixta.

Am nächsten Morgen verlassen wir gegen 8.30h das Apartment und machen uns auf den Weg nach Meteora. Die Straße schlängelt sich kilometerlang an den Felsen entlang, die auf uns hinab blicken als warteten sie auf die nächste Generation Dinosaurier.
Nach 1 ½ Stunden erreichen wir das größte Kloster 'Megalo Meteoro', was soviel bedeutet 'Großer, in der Luft schwebender'. Es ist auch das größte Kloster und höchstgelegene bewohnte Kloster in Meteora. Kaum zu glauben, dass es die Menschen geschafft haben, vor über 650 Jahren ein Kloster auf diesem Fleck Erde zu setzen. In 613m Höhe! Unglaublich. Aber die Ägypter haben ja auch schon ähnliches bewerkstelligt. Vor dem Betreten des Klosters weist ein Schild auf die Heiligkeit dieses Ortes hin und bittet um Ehrfurcht vor diesem Felsen. Frauen werden dazu angehalten, sich einen Rock um zu binden (Hosen sind nicht erlaubt).

Da sind wir nun und entdecken das Kloster. Unser Weg führt uns zur alten Kelterei und dem Beinhaus, in welchem die Totenköpfe der ehemaligen Klosterleitung aufgebahrt werden. Man kann diesen Raum nicht betreten, sondern nur ein Fenster in der Tür hinein blicken. Dort sieht ein Regal mit Schädeln und hunderte menschlicher Knochen auf dem Fußboden. Generationen von alten Männern in Kutten starren mich an. Angeblich sollen einige Schädel heilig sein und einen angenehmen Geruch verströmen .Ich wollte mich nicht davon überzeugen.

Im Museum findet man Zeugnisse alter Tage. Zum Beispiel hochoffizielle kirchliche Beschlüsse mit Brief und Siegel, viele hunderte Jahre alt. Oder aber auch Krüge und Kreuze aus Holz (handwerklich sehr raffiniert und präzise), oder aber auch Uniformen aus dem zweiten Weltkrieg. Um diese zu präsentieren, kaufte man sich drei Schaufensterpuppen und stülpte ihnen die Kleidung über. Jede von ihnen bekam einen künstlichen Schnurrbart verpasst. Leider aber auch eine eindeutig weibliche Schaufensterpuppe, die nun bis ans Ende ihrer Tage ein Dasein als griechischer General fristen muss.

In einem anderen Museumsbereich finden sich Bilder von verehrten Heiligen, die unter der Herrschaft des osmanischen Reiches verfolgt wurden und den Feuertod starben. Ihr Leidensweg ist auf großflächigen Bildern verewigt. Besonders gewundert hat mich die Geschichte eines Mönchs, den die Türken einmauern mussten, nachdem sie ihn weder erhängen noch verbrennen konnten.
Von den lebenden Mönchen im Kloster haben wir gar nicht mitbekommen. Selbst die Bediensteten an den Verkaufsschaltern der Souvenir-Läden schienen von außerhalb zu kommen. Das fand ich sehr schade. Beeindruckend hingegen fand ich die Kapelle, welche thematisch und architektonisch in zwei Teile strukturiert war. Im ersten Teil finden sich ausschließlich Abbildungen, die die Verfolgung der Gläubigen durch Ungläubige darstellen. Wilde Szenarien mit viel Blut, abgeschlagenen Köpfen, Monstern und Menschen, denen die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen wird. Im Raum nebenan das genaue Gegenteil: Himmlischer Friede. Die Heiligen reichen sich die Hände, lesen sich aus ihren Werken vor und beten gemeinsam. Keine Spur mehr von der wilden Barbarei im Zimmer nebenan. Mir fallen auch die vielen Oktaeder auf (beim Kronleuchter, beim Stehtisch, bei den Stühlen, den Fresken am Boden und an der Decke), die in der Zahl 8 die Ewigkeit darstellen (dreht man das Symbol „8“ um 90°, so erhält man das mathematische Zeichen für die Unendlichkeit). Somit steht wohl dieser Raum für die Ewigkeit des Himmels, und der andere für das Diesseits und die Qualen auf der Erde. Das wäre zumindest ein Interpretation. Ach Herrn Dziersk, manchmal würde ich Sie gerne herbei-beamen und mir ihre Meinung anhören.
Wir verlassen dieses Kloster und wandern zum nächsten, welches von außen meiner Meinung nach noch imposanter ist als das 'Megalo Meteoro'. Es ist das Kloster 'Verlaam', das auf einem wirklich einsamen Felsen gebaut wurde und den Anschein erweckt, als hätte es das Meer vor all den Jahren mit aus dem Stein geschürft. Es ist wirklich „eins“ mit dem Felsen. So etwas muss man gesehen haben.

Das Innenleben ist jedoch nicht so umfangreich wie das im vorherigen Kloster, und in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit beschließen Tereza und ich den Heimweg anzutreten. Am Abend setzen wir uns in eine Taverne, essen Salat und trinken Bier, während neben uns die Lokalmatadore ihre Rosenkränze schwingen und sich Oliven in die Backen stopfen. Wir sind müde, gehen heim, schauen Harry Potter und schlafen ein. Am nächsten Morgen bummelt uns der Zug nach Athen. In Griechenland gibt es wohl noch das „Ein-Gleis-System“, und somit muss unser Zug einige Male anhalten, um den tollen IC-Zug vorbei zu lassen.

Egal, wir sind wir zurück, und ich freue mich auf meine neue Mitbewohnerin, die Anfang nächsten Monats mein Zimmer übernehmen wird. Sie heißt Marlen, kommt aus Berlin und studiert auch Germanistik. Interessanterweise kocht sie auch vegetarisch. Und obwohl ich jetzt schon fast eine Woche wieder zurück bin aus Meteora, habe ich bisher noch keine Gelegenheit gehabt sie näher kennen zu lernen. Den Rest der Woche verbrachte ich nämlich vor meinen Unterlagen und mit dem Anfertigen meiner zweiten Hausarbeit, die seit gestern Nacht endlich im Kasten ist. Vielleicht komme ich am Wochenende dazu, mich mal mit meiner Nachfolgerin zu unterhalten.

Jetzt vollziehe ich einen Themenwechsel, der sich gewaschen hat: Louis und ich haben „unsere“ Toilette gehörig aufgemotzt. Das kleine, graue und miefige Stück Raum neben dem großen und strahlenden Badezimmer wurde zu einem reinen „Männer-Klo“ umgewandelt. Wie das? Ich habe die russische Fassung des Playboys gekauft, wohingegen Louis sich ein Prollo-Automagazin mit getuneten Mittelklasse-Wagen geholt hat. Das beste der beiden Hefte haben wir ausgeschnitten und in unser Klo geklebt. Wenn man sich jetzt auf die Toilette setzt, schaut einem das Pin-Up Girl des Monats kess in die Augen. Wendet man sich nach links, sieht man den neuen Ferrari, schaut man nach rechts, den neuen Mercedes. Jetzt fehlen nur noch Sport-Poster, z.B. ein Mannschaftsbild von Manchester United. Das wäre toll.
Die Mädels in unserer WG finden die Idee gut und haben bereits angekündigt, „ihre“ Toilette auch verschönern zu wollen. Hoffentlich machen sie das auch, denn Sissi hat Louis und mich schon aufgefordert, die Bilder zu entfernen. Ihrer Meinung nach ist diese Toilette ein Raum für alle.
Da sich aber keiner darüber beschwert und sie selbst nicht bei uns kacken geht, kann sie Louis und mich einfach mal am Arsch lecken. Wenn sie die Bilder unbedingt weg haben möchte, dann soll sie sich selber bemühen. Aber bitte vorsichtig, denn die Magazine waren teuer und wir würden die Bilder „gerne“ bei uns im Zimmer aufhängen. Dies hat sie uns ausdrücklich erlaubt. Thank you, Sissi. Es war uns schon klar, dass sie auf unsere Macho-Attacke schlecht zu sprechen sein wird, aber das sie wirklich so kleinkariert ist hat keiner von uns gedacht. Wie dem auch sei: Die Bilder bleiben dort wo sie sind. Basta!

Nächste Woche beginnt der große Trip mit Tereza. Dafür werde ich mir noch einige Infos besorgen und so langsam aber sicher die Tasche packen. Ich freue mich auf die letzten Tage mit ihr und die Tatsache, noch etwas mehr von Griechenland zu sehen. Schon auf dem Weg nach Meteora zeigten sich Landstriche, die so sehr anders waren als Athen: Weite Felder, satte grüne Wiesen mit Kühen und Ziegen, Berge mit Schnee. Nach der letzten Woche vor meinem Laptop bin ich wirklich froh, mal wieder heraus zu kommen aus der Stadt. Sie raubt mir schon wieder Kraft und nährt meine Vorfreude auf die Rückkehr in knapp 3 Wochen. Ich ertappe mich, wie ich durch die Straßen laufe und mich frage, ob ich nicht irgendetwas übersehen habe, was mich später in Deutschland ärgern wird. Die Antwort werde ich sicherlich erst dort bekommen, und daher werde ich mich am Wochenende wohl nochmal in die große Stadt begeben und Orte besuchen, die mir empfohlen wurden und die ich bisher noch nicht besucht habe. Gazy und Keramikos zum Beispiel.

Das Gro meiner Uni-Leistungen ist absolviert. Nach dem Trip folgen noch zwei Prüfungen, bevor ich hoffentlich problemlos alle meine Scheine und mein „Transcript of Records“ bekomme. Noch habe ich da meine Zweifel, aber ich möchte auch nicht den Teufel an die Wand malen.

Es ist jetzt 14.50h. Vielleicht dusche ich schnell und drehe eine Runde durch die Stadt, mit der Kamera im Anschlag. Vielleicht bleibe ich aber auch im Bett, denn seit gestern plagt mich eine Erkältung, die ich bis Anfang nächster Woche auskuriert haben möchte. Vielleicht mache ich auch etwas ganz anderes, keine Ahnung.

Liebe Grüße und bis bald.
Benjamin

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Das Video der Woche ist erneut ein Werbespot. Er wurde vor einigen Tagen während des „Superbowls“ in den USA ausgestrahlt und hat für einigen Wirbel gesorgt. Der eine oder andere von Euch kennt vielleicht die Band „Eels“. Der Kopf dieser Truppe stellt in diesem Spot das neue Album „Useless trinkets“ vor, was soviel wie „nutzloser Tand / nutzlose Wertlosigkeit“ bedeutet. Bereits im Vorfeld (und auch im Nachhinein) wurde über die Länge des Clips diskutiert. Als dieser dann ausgestrahlt wurde (eine Sekunde Werbezeit während des Superbowls kostet nicht weniger als 100.000$), begann ein großes Rätselraten über den Zweck und Urheber des Ganzen. Die Leute fingen an zu recherchieren und kamen letztendlich auf die „Eels“, welche dadurch ihr neues Album sehr medienwirksam präsentieren konnten. Clever.

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