Eine neue Woche hier in Athen. Ich liege wieder in meinem Bett, mit dem Notebook auf meinem Schoss. Ich habe mir für die nächste Stunde eine melancholisch-rockige Melange in meiner Playlist zusammengestellt und werde nun das virtuelle Weiß mit virtuellen Lettern versehen. Jetzt gerade singt Robert Plant vom „Battle of Evermore“. Ich fange an:
Die letzten Tage in Hellas waren, um es in einem Satz zu verdichten, vielseitig und monoton.
Das ist widersprüchlich, aber trifft es genau auf den Kopf. Vielseitig, weil ich auf meine Füße auf zwei Inseln gesetzt, und dadurch auch mal ein anderes Griechenland kennen gelernt habe. Ein Postkarten-Griechenland, mit weißen Häusern, schmalen Gassen und einem azur-blauen Meer.
Monoton, weil ich hier in Athen auf heißen Kohlen sitze und endlich mit meinem Studium anfangen möchte. In den letzten 6 Wochen habe ich in insgesamt 3 Ländern Urlaub gemacht. Meine Akkus sind randvoll, sie schwappen fast schon über. Ich möchte wieder morgens aufstehen, zur Uni fahren, hören, lesen, schreiben und tolle Noten dafür kriegen. Vorlesungsbeginn ist der kommende Montag. Bis dahin kann ich mir den Stundenplan zusammenstellen und hoffen, dass diese Kurse auch in Dortmund akzeptiert werden (das ist aber eine andere Geschichte).
Nachdem ich nun angedeutete habe, dass ich auf zwei Inseln war, möchte ich Euch davon erzählen. Letzte Woche Dienstag bin ich mit Markus (einem Archäologie-Studenten aus Wien) auf die Insel Poros gefahren. Die Fähre legte gegen halb 8 in Piräus ab. Am Horizont zeigte sich die Sonne in einem gleißenden orange-rot, und die vielen Möwen begleiteten uns ein ganzes Stück weit auf die offene See. Ich habe sehr schöne Fotos geschossen und mich mit Markus über die Antike und griechische Mythologie unterhalten. Der gute Mann ist ein echter Crack in dieser Hinsicht und somit konnte ich noch einige Dinge in Erfahrung bringen, die ich vorher noch nicht wusste. Ich habe das Wichtigste aufgeschrieben und mich dann auf dem Deck umgeschaut, bin die Reling entlang gelaufen und habe dem Bug des Schiffes beim Verdrängen und Aufschäumen des Wassers zugeschaut. Weiße Perlen, die der Wind aufwirbelte und die sich als salzige Perlen auf meine Lippen legten, durch meine Nase strömten und mir das Gefühl gaben, in einer anderen Welt zu sein. Einer stilleren Welt, ohne Autos, Menschenmassen und Hektik. Trotz des ratternden Dieselmotors hatte diese Fahrt einen beinahe meditativen Charakter, da ich mich manchmal im strahlenden Blau des saronischen Golfs verlor.
Poros erreichten wir nach ungefähr 2,5 Stunden. Der Hafen ist mit bunten Schiffen versehen. Im Hintergrund stehen die bereits erwähnten und allseits bekannten weißen Häuser mit ihren blauen Fensterläden. Keines von ihnen hat mehr als zwei Stockwerke, und somit wirkt die gesamte Front sehr kompakt und geschlossen. Zwischen den Häusern gab es kleine Pfade, gepflastert mit hellen Steinen. Unter den Bäumen und Sträuchern suchten Katzen schattige Plätze. Sie räkelten sich und blickten mit ihren müden Augen in die Meinigen. Es gab nur wenige Touristenstände, und somit hatte man fast das Gefühl, sich an einem unberührten Ort zu befinden. Uns zog es jedoch auf einen Berg, auf welchem der Tempel des Poseidon einst stand. Nach einem schweißtreibenden Aufstieg von ungefähr 2 Stunden wurden wir mit einem famosen Ausblick über die Insel belohnt. Die Tempelanlage selbst wird gerade restauriert. Markus fühlte sich wie in einem kleinen Schlaraffenland und untersuchte die Steine in der Umgebung. Ich finde die antike Kunst der Griechen etwas interessanter als deren Architektur (ähem), und somit begab ich mich auf Foto-Safari in der sengenden Hitze. Wir hatten gefühlte 35°C, bei strahlendem Sonnenschein und wolkenfreiem Himmel. Die Bäume auf diesem Gelände waren staubtrocken. Es war leicht auszumalen, dass große Landstriche ohne weiteres abbrennen können.
Nach dem schnellen Abstieg tranken wir noch etwas kühles und machten uns dann auf dem Weg zurück nach Athen. Die Sonne näherte sich wieder dem Horizont, und das Abendlicht streifte die Häuserzeilen der großen Fährunternehmen. Blue Star Ferries, Hellenic Seaways, ANEK Lines ...
Am selben Abend trafen wir (nach einer Dusche und einem Essen) viele Erasmus-Leute, mit denen wir dann noch bis ca. 4h zusammen saßen. Danach bin ich todmüde ins Bett gefallen und für eine sehr lange Zeit nicht mehr aufgewacht. Oh ja.
Meine zweite Reise ging nach Mykonos. Meine beiden Mitbewohnerinnen Despina und Lucia fragten mich kurzfristig (Info kam Donnerstag, 22h – Abfahrt in Piräus war Freitag, 7.45h) und ich sagte zu. Das Erasmus-Abend an diesem besagten Donnerstag wurde dann eher eine lange Nacht, die ich bis zum nächsten Morgen mit vielen Getränken und Gesprächen durchmachte. Erst an Bord der Fähre konnte ich mich hinlegen und für ein paar Stunden dösen. An Schlaf war nicht zu denken, denn der Kapitän des Schiffes hatte offensichtlich großen Gefallen daran gefunden, zu den unmöglichsten Anlässen das Horn zu blasen. Dennoch verbrachte ich einen großen Teil der 5,5 Stunden dauernden Überfahrt mit geschlossenen Augen. Der Körper holt sich letztendlich immer, was er braucht.
Auf Mykonos erwartete uns die warme Sonne, ein touristischer Hafen und Bobby. Er war mit seiner laminierten Broschüre ganz nah an die Fähre gedrungen und suchte, wie viele andere auch, nach frischen Touristen für seine Apartments. Die Bilder sahen gut aus, der Preis schien angemessen und die Distanz zum Zentrum akzeptabel. Er sollte uns nicht über den Leisten ziehen und sich als guter Gastgeber erweisen. Das Zimmer war sehr gepflegt, und der Hof lud uns und andere zum Frühstücken am Morgen, und zum Wein trinken am Abend ein.
Zunächst fuhren wir jedoch an einen Strand und schwammen im fabelhaften Meer. Durch meine Schwimmbrille konnte ich kleine Fischschwärme entdecken, die wenige Meter von mir entfernt ihre Bahnen zogen. Ich tauchte unter, tauchte auf und holte tief Luft. Blickte mich um und sah den Strand vor mir. Mit seinen Sonnenschirmen aus Bambusblättern und seinem feinen Sand. Dahinter standen wieder die weißen Häuser, deren Ecken hier jedoch abgerundet waren. Im Hintergrund ragte eine kleine Felswand hervor. Karg, steinig und lebensfeindlich. Selbst das frische Blau des Meeres konnte diesem Ort kein Leben einhauchen. Das war mir in diesem Moment jedoch egal. Ich schwamm, tauchte ab und wieder auf. Und lachte. Naja, und ich dachte auch an Euch daheim. Oder auch an Steffi und Lisi in Schweden, die gerade ein ganz anderes Klima erleben. Ich will niemanden neidisch machen, aber bei diesen Zeilen ist es wohl auch unvermeidlich.... Sorry.
Am Abend gingen wir ins Zentrum und suchten eine Bar, in der traditionelle Musik gespielt wird. Allerdings kamen wir über einen schönen Spaziergang an der Hafenpromenade von Mykonos nicht hinaus, da wir auch nach mehrmaligem Fragen keine Bar fanden. Dafür entdeckten wir jedoch Petros, den (mir vorher un-) bekannten Pelikan der Insel. Er hockte mit zwei seiner Artgenossen vor einem Restaurant und war pausenlos mit Körperpflege beschäftigt. Nach ein paar Fotos zogen wir weiter. Erneut durch schmale Gassen und vorbei an weißen Häusern. Mykonos ist wesentlich touristischer als Poros, aber nichts desto trotz strahlt das Gebiet rund um den Hafen unheimlich viel Charme aus. Im Sommer sieht die ganze Sache gewiss anders aus, aber Mitte Oktober hält sich die Zahl der Touristen in Grenzen. Dann muss Bobby an den Hafen fahren und die Neuankömmlinge aufgabeln. Ab April gibt es wieder feste Reservierungen, über Monate hinaus. Sagt er.
Wie dem auch sei, an diesem Abend gingen wir früh heim, da wir nun alle doch etwas angeschlagen waren. Ich freute mich auf den ersten richtigen Schlaf nach ungefähr 36 Stunden, und die Mädels wollten auch nicht den ganzen Tag verschlafen. Bonne nuit.
Am nächsten Morgen tat ich das, was mir hier in Griechenland bisher am meisten Spaß gemacht hat: Ich lieh mir einen Roller aus und fuhr den ganzen Tag um die Insel. Despina und Lucia planten einen langen Strandaufenthalt am Paradise Beach (es gibt auf Mykonos einen „Paradise Beach“ und einen „Super Paradise Beach“, kein Witz), darüber hinaus hatte keine von beiden ihren Führerschein dabei. Ich wollte tolle Fotos schießen und etwas mehr von der Insel sehen.
Der silberne Roller war mir in den ersten Minuten sehr fremd, aber nach und nach kamen wir zwei besser klar. Am Ende des Tages ist er mir ein guter Freund geworden und ich musste ihn schweren Herzens wieder abgeben. In den ganzen Stunden dazwischen jedoch haben wir so manche Steigung bezwungen, manche Hauptstraße verlassen und sind den einen oder anderen Schotterweg entlang gehoppelt. Wir sahen unglaubliche Strände, öde Landstriche, Ziegen auf Felsvorsprüngen, Truthähne im Staub und kauzige Bauern, die schon seit mehreren Monaten auf einen Tropfen Regen warteten und wahrscheinlich immer noch warten. Es gab Momente, in denen uns nur der Wind Gesellschaft leistete, und jegliche Form von Zivilisation unglaublich weit entfernt schien. Stille. Ein unfassbar kostbares Gut für einen Menschen, der um den Trubel und die Hektik von Athen weiß.
Am Abend saßen Despina, Lucia und ich lange draußen vor unserem Zimmer und unterhielten uns über Gott und die Welt. Wir verglichen schwedische und deutsche Vornamen, Tiernamen und Namen für alle möglichen Gegenstände und so weiter. Als wir davon genug hatten, gingen wir wieder in die Stadt und aßen eine Kleinigkeit. Und wie es der Deivel will, hielt uns die Müdigkeit erneut vom Partyleben fern. Die Müdigkeit und die Geldnot, denn es gibt Bars auf Mykonos, die bis zu 18€ für einen Cocktail verlangen. Oh yes.
Der nächste Morgen war wolkenverhangen, kühl. Wir waren froh, die Insel im richtigen Moment erreicht, und sie im richtigen Moment auch wieder verlassen zu haben. Die angerauhte See schaukelte die Fähre hin- und her, so dass manchem Passagier gar nicht wohl war. Ich habe schon viele bleiche Gesichter gesehen, aber noch nie grüne. Als ich am späten Nachmittag auf das Deck ging, lag dann da auch ein großer Haufen Kotze. Die Überreste eines Hamburgers waren noch deutlich zu erkennen...
Und nun bin ich wieder hier, in Athen. Wie ich eingangs erwähnte, bin ich momentan nicht unbedingt glücklich über meine Situation. Ich weiß aber auch, dass diese sich am kommender Woche ändern wird. Ich bin auch gespannt, welche Leute ich noch an der Uni kennen lernen werde.
Mittlerweile bin ich unzähligen Gesichtern aus allen Teilen Europas begegnet, und offen gesagt öden mich diese Erasmus-Parties schon ein wenig an. Die Kontaktaufnahme reduziert sich auf drei Fragen: „What's your name?“, „Where are you from“ und „What do you study“. Danach dreht sich jeder um 90° und spricht die nächste Person an. Das geht den ganzen Abend so, bis man jeden und letztendlich niemanden kennt. Darüber hinaus ist die Anzahl der Erasmus Jura-Studenten hier in Athen unglaublich hoch. Die armen Menschen verdrehen ihre Augen, wenn sie mir auf meine dritte Frage („What do you study?“) die Antwort „Law“ entgegnen. Es scheint ihnen peinlich zu sein.
Ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass über ¾ aller Erasmus-Leute hier angehende Juristen sind. Die meisten von ihnen kommen aus Deutschland. Diese Tatsache nervt den einen oder anderen Jura-Studenten ungemein, denn viele von ihnen kamen auch hier hin, um ihr Englisch aufzupolieren.
Naja, wie ich schon sagte öden mich die ganzen Erasmus-Parties mittlerweile an. Ich war schon auf einigen in Spanien, Tschechien und Deutschland, und vielleicht ist dies der Grund dafür. Ich beobachte allerdings auch, dass diese große Erasmus-Gruppe sich langsam aufsplittet. Trotz des oberflächlichen Geplänkels bleiben doch einige Menschen hängen, und mit denen unterhält man sich öfter und länger als mit anderen. In meinem Falle sind es die Geisteswissenschaftler, mit denen ich einfach mehr Anknüpfungspunkte habe als mit den Juristen. Es ist ja nicht so, dass ich mit den Juristen nicht kann, aber ich habe oft den Eindruck gewonnen, dass viele von ihnen das Jura-Studium angefangen haben, weil ihnen nichts besseres eingefallen ist. Das ist leider kein Scherz, sondern häufig Tatsache. Die Geisteswissenschaftler, die ich bisher getroffen und gesprochen habe, sind wirklich Feuer und Flamme für ihr Fach.
Und so trennt sich die Spreu vom Weizen, für jeden einzelnen Studenten in dieser Stadt. Dieses große Gebilde wird in den nächsten Wochen zerfallen, da bin ich mir absolut sicher. Damit möchte ich nicht den Sinn dieser Parties in Frage stellen: Ich finde es super, dass es Menschen hier vor Ort gibt, die sich die Mühe machen, solche Events zu organisieren. Es liegt aber auch in der Natur des Menschen, sich eben die Rosinen aus dem Kuchen zu picken und diese dann zu naschen. Oder nicht?!
Ich bin noch nicht wirklich angekommen in dieser. Das liegt zum einen daran, dass mein Studium noch auf sich warten lässt, zum anderen aber auch daran, dass ich mit meinen Gedanken häufig nach Deutschland wandere. Ich denke an meine Familie, meine Freunde und an den modrigen Oktober.
Dann stelle ich mir vor, wie die Regen auf die gelben und roten Blätter fällt, und eines nach dem anderen hinunter segelt. Ich kann und darf mich nicht beschweren, denn es gibt sicherlich Menschen, die gerne mit mir tauschen möchten. Heute bin mit einem T-Shirt durch die Stadt gelaufen, bei ca. 24°C. Da gibt es keine Diskussion.
Für mich ist Athen immer noch so etwas wie ein Urlaubsort, kein Arbeitsplatz. Ich brauche etwas, was meine Gedanken mehr an diese Stadt bindet, und dieser Input kommt nächste Woche.
Darauf freue ich mich.
Herzlichst,
Benjamin
P.S: Ich würde mich sehr über ein wenig Rückmeldung von Euch freuen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich vielleicht etwas zu viel schreibe und die langen Texte abschreckend wirken. Andererseits denke ich mir, dass ich dadurch vieles noch lebendiger schildern kann.
Dieser Blog wird mir später sicherlich eine schöne Erinnerung an meine Zeit in Griechenland sein, aber in erster Linie tippe ich ihn für das Hier und Jetzt, und somit für die Menschen daheim. Meine Mutter freut sich wie ein Kind über jeden neuen Eintrag. Vielleicht ist sie ja nicht die Einzige...
Also schreibt mir einen kleinen Kommentar, wenn ihr könnt und wollt. Feedback ist und bleibt eine tolle Erfindung. Efcharisto (Danke)!
Hello again,
this is Ben with his second and also last english posting. I have come to the conclusion, that all of those who have the URL of this site will see me at least 2-3 times a week. All the others can ask me how I am doing or just leave it. I really appreciate your interest in the experiences I made and those to come, but I also think that my oral expressions are more vivid that the written ones. Beside this, I cannot tell for sure whether I can take the time to write two postings a week. I hope you understand.
See you somewhere in Athens. Regards.
Ben